Der Schattenjäger (German Edition)
gegen Wolfs Versuche, ihm das Zaubern beizubringen. Seine Inquisitorenlehre durfte er nicht aufgeben, seine Familie war auf das Geld angewiesen, aber Magier wollte er auf keinen Fall werden. Er hatte bisher nur einmal an Magie gerührt, eben als er den Dibbuk herbeigerufen hatte, und das war ihm als ein Werk des Bösen in lebhafter Erinnerung geblieben. Und die magischen Kräfte, die Wolf aufgeboten hatte, um Morgaunt in den Flammen des Hotels Elefant zu besiegen, waren noch furchterregender gewesen. Wenn das Magie war, wollte Sascha nichts damit zu tun haben.
In Erinnerungen versunken, war Sascha auf der Treppe stehen geblieben. Es überkam ihn immer ein Schwächegefühl, wenn er an jene schreckliche Nacht zurückdachte. Nun merkte er, dass die anderen schon vorangegangen waren, und zwang sich, ihnen zu folgen. Oben auf dem Treppenabsatz versperrte ein schwerer Samtvorhang die Sicht. Sascha schob ihn beiseite und trat ein.
Er befand sich in einer Privatloge: Ein kleiner Balkon schmiegte sich seitlich oberhalb an die Bühne an, sodass die feinen Herrschaften, die einen Logenplatz gemietet hatten, ohne Mühe mit den Schauspielern hätten plaudern können.
Aber jetzt fehlten die Herrschaften, stattdessen erhob sich über den Plüschpolstern ein Apparat auf stählernen Spinnenbeinen. Das Ganze war aus mehreren Kamerastativen zusammengebastelt. Oben auf dem Gewirr von Stativbeinen thronte wie eine langbeinige Schnake eine Kamera, wie sie Sascha noch nie gesehen hatte.
Oder wenigstens sah es so aus wie eine Kamera. Es hatte die Teile, die man von einer Kamera erwartete, aber auch bestimmte Besonderheiten: zum Beispiel ein sehr langes, einstellbares Objektiv, einen Schalltrichter wie Edisons Ätherograph und ein seltsames, wie eine liegende Acht aussehendes Gebilde, das zu nichts anderem gedacht schien, als einen langen Zelluloidstreifen von einer Spule auf die andere zu transportieren.
Dieser Teil des Apparats machte die surrenden und klackernden Geräusche. Und jetzt, da Sascha direkt danebenstand, hörte er noch ein weiteres Geräusch. Es war ein Rattern, das dadurch entstand, dass der Zelluloidstreifen in Rädchen griff, die ihn in den Bauch der Maschine zogen.
Rosie betätigte einen verborgenen Schalter und schon kam die Maschine seufzend zum Stillstand.
»Was ist denn das?«, fragte Lily in die Stille hinein.
»Das ist mein tönender Kinematograph«, verkündete Rosie stolz. »Das ist bisher der einzige auf der Welt – aber nicht mehr lange! Mit dieser Erfindung werde ich zum gefeierten Star von Hollywood!«
»Wie ich mich überreden lassen konnte, diesen Apparat in meinem Theater zu dulden, weiß ich beim besten Willen nicht mehr«, jammerte Goldfaden. »Das ist unlauterer Wettbewerb und die größte Bedrohung des Theaters seit dem Phonographen! Die Schauspielergewerkschaft wird mich umbringen, wenn herauskommt, dass ich dem Gegner auch noch Vorschub geleistet habe! Aber dieses Mädchen könnte auch einen Stein erweichen.«
»Und Sie glauben, dass der Apparat Naftali Ashers Ende aufgenommen hat?«, fragte Wolf. »Mit Ton?«
»Hoffentlich. Ich habe noch irrsinnig viel zu tun, um Ton und Bild gleichzeitig aufzunehmen. Zwar gibt es einen Trick, den ich für Edison angewandt habe, aber da er jetzt das Patent besitzt, bedeutet es, noch einmal von vorn beginnen zu müssen. Doch im Allgemeinen hört man alles sehr gut, auch wenn es etwas komisch aussieht.«
»Können wir es sehen?«
»Nicht gleich. Der Film muss wie bei einem Fotoapparat erst noch entwickelt werden. Ich mache das für Sie. Wenn ich mich beeile, könnte ich das bis, sagen wir, übermorgen erledigt haben.« Dann machte sie ein langes Gesicht. »Aber komme ich da nicht in einen Konflikt? Schließlich arbeite ich im Hippodrome. Gehöre ich nicht auch zu den Verdächtigen?«
Wolf hob erstaunt die Augenbrauen. Dann lächelte er. »Sie vergessen, Rosie, dass ich Sie kenne. Unter den Millionen Einwohnern von New York wären Sie die Letzte, die ich unter Mordverdacht hätte.«
»Oh!« Rosie schien geschmeichelt und wurde wegen des Kompliments fast ein bisschen verlegen. »Äh, ich bringe es Montag zu Ihnen in die Inquisitionsabteilung. Ich wollte sowieso einmal sehen, wo Sascha und Lily arbeiten.«
»Sonst noch jemand, mit dem ich reden sollte?«, fragte Wolf Goldfaden. »Außer Sam Schlosky selbstverständlich.«
»Nun, Sie müssen mit Ashers Ehefrau sprechen. Und …«, Goldfaden zögerte einen Augenblick, er konnte Wolf nicht in die Augen
Weitere Kostenlose Bücher