Der Schattenjäger (German Edition)
sehen, »nein, nicht dass ich wüsste.«
Goldfaden mauerte, das war Sascha und Lily klar – und Wolf nicht weniger.
»Jeder Mensch hat Feinde, oder doch Leute, die einen nicht sonderlich mögen. Wenn Sie befürchten, ich könnte voreilige Schlüsse ziehen, nur weil Sie mir einen Rivalen oder Musikerkollegen genannt haben –«
»Sei’s drum!«, stöhnte Goldfaden. »Sie werden es ja früher oder später eh erfahren, ob von mir oder durch Gerüchte, das ist ja egal. Also, Asher konnte The Kid nicht ausstehen. Er dachte, der Jüngling würde ihm sein Publikum wegnehmen. Sie wissen doch, von wem ich rede? The Kid ist der tollste Klezmerklarinettist in ganz New York.«
Wolf starrte ihn verständnislos an.
»Der Bursche da war der Klezmerkönig«, sagte Goldfaden und zeigte auf den Kreideumriss, wo Asher gelegen hatte. »Wenn es nach meiner bescheidenen Ansicht geht, war er auch der größte Klezmermusiker, der je gelebt hat. Aber er war am Ende seiner Karriere. Sie wollten ihn nicht mehr hören. Alle waren verrückt nach der neuen Sensation: Kid Klezmer.«
»Ach so«, platzte Sascha heraus. »Der!«
»Kennst du den etwa?«, fragte Lily, als wäre die bloße Vorstellung schon unglaubwürdig.
»Ja klar, meine Mutter schwärmt von ihm.«
Goldfaden stieß verächtlich die Luft zwischen seinen Zähnen hindurch. »Deine Mutter und jedes andere weibliche Wesen zwischen neun und neunzig auf der ganzen Lower East Side. Wenn Sie mich fragen, hat er nicht ein Zehntel des Talents, das der selige Asher besaß. Aber die Frauen sind so verrückt nach ihm wie nach diesem Schmierenkomödianten Mordechai Kessler. Wenn ich auch so gut aussähe, wäre ich schon längst Millionär!«
Sascha zuckte schuldbewusst zusammen, als der Name seines Onkels fiel, doch Wolf wollte nur wissen, wo Kid Klezmer zu finden war, und achtete nicht auf seinen Lehrling.
»Tja«, sagte Goldfaden, »er verbringt viel Zeit im Süßwarenladen in der Essex Street.«
»Aha«, sagte Wolf in verändertem Tonfall. »Ich verstehe.«
Lily schaute verständnislos von Wolf zu Sascha, der genau wusste, was Goldfaden meinte – und warum Wolf plötzlich so misstrauisch klang wie eine Maus, die von einer neuen Katze in der Nachbarschaft Wind bekommen hat.
Jeder auf der Lower East Side wusste, dass The Kid der Klezmermusiker war, den der Gangsterboss
Meyer Minsky
in sein Herz geschlossen hatte. Er war sozusagen der offizielle Klarinettist der
Magic Inc
. Und deshalb saß er viel mit den berühmt-berüchtigten jüdischen Gangstern im Hinterzimmer des Süßwarenladens. Mrs Kessler hätte niemals erlaubt, dass Sascha oder Beka diesen Laden betraten, obwohl es dort die besten Süßigkeiten in New York gab und der Laden nur anderthalb Häuserblocks von ihrer Wohnung in der Hester Street entfernt lag. Aber Meyer Minsky hatte einmal Benny Feins Mutter, die im selben Mietshaus direkt über den Kesslers wohnte, besucht und bei der Gelegenheit Bonbons an alle Nachbarskinder verteilt. Meyers Ankunft in einer kanariengelben Limousine und der unglaubliche Geschmack seiner Bonbons hatten sich unauslöschlich in Saschas Gedächtnis gegraben.
»Ich nehme an, Sie wollen nicht unbedingt beim Betreten dieses Süßwarenladens gesehen werden«, sagte Goldfaden. »Das würde Sie in ein falsches Licht rücken.«
»In der Tat«, bestätigte Wolf.
»Aber, äh, Meyer geht zum Mittagessen gern ins Café Metropol. Zufällig ist es gerade zwölf Uhr mittags. Und das Café ist ja so etwas wie neutraler Boden, oder so.«
»Ein ausgezeichneter Vorschlag«, lobte Wolf mit tonloser Stimme. »Aber jetzt sollten wir wirklich gehen. Rosie, sehen wir Sie Montag?«
»Darauf können Sie Gift nehmen!«, antwortete sie über das Gehäuse ihres tönenden Kinematographen gebeugt.
Eine Minute später standen Goldfaden und der Inquisitor nebst seinen Lehrlingen draußen unter dem verzierten Vordach des Hippodrome. Das Wetter war immer noch eisig kalt, und so knöpften alle hastig ihre Mäntel zu, klappten die Kragen hoch und mummelten sich in dicke Schals ein, um auf den vereisten New Yorker Bürgersteigen des Februars gewappnet zu sein.
Als sie losmarschierten, wandte sich Wolf noch mit einer letzten Frage an Goldfaden. »Sie haben vorhin Harry Houdini erwähnt«, begann er. »Aus reiner Neugier, würden Sie ihn auch jetzt noch engagieren?«
Sascha und Lily begriffen, worauf Wolf anspielte: Würde die Leitung des Hippodrome einen Zauberkünstler engagieren, der auf der schwarzen Liste
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