Der Schattenjäger (German Edition)
des
KAUZ
– des Komitees zur Aufdeckung Unamerikanischer Zauberei – stand? Maurice Goldfaden mochte die Frage nicht, wie es aussah. Er kniff die Augen zusammen und sein sowieso schon rötliches Gesicht wurde tiefrot.
»Was soll diese Frage? Wir sind das Hippodrome, nicht irgendein Varietétheater in einem Biergarten. Wir haben vor vielen, vielen Jahren als Erste jiddisches Theater gemacht. Wir hatten alle Bühnenberühmtheiten hier, die Adler, Thomashefsky, Kessler – ich meine
David
Kessler, nicht Mordechai den Schwerenöter!«
Wieder zuckte Sascha zusammen, und da Goldfadens Augen so schalkhaft aufblitzten, kam ihm der Verdacht, der Theaterdirektor könnte sehr wohl wissen, wen er vor sich hatte, und machte sich einen Spaß daraus, Mordechai zu verhöhnen. Sascha hatte seinen Onkel in mehreren Musicals des Jiddischen Volkstheaters auftreten sehen. Man musste sich beeilen, denn fast jedes Stück des Jiddischen Volkstheaters wurde abgesetzt, ehe die Schauspieler ihre erste Gage erhielten. Trotzdem kam ihm Goldfadens Kritik ein bisschen unfair vor. Doch hütete er sich, Widerspruch anzumelden. Stattdessen versuchte er wie Wolf eine undurchdringliche Miene aufzusetzen und vermied es, irgendjemanden namens Mordechai Kessler zu kennen.
Wolf kannte selbstverständlich Saschas Familienverhältnisse, aber Sascha war nie von seiner Linie abgewichen, nur das Allernötigste über seinen Onkel Mordechai zu berichten. Lily aber glaubte immer noch, Sascha sei ein guter Junge aus der Mittelschicht, der in einem ruhigen Reihenhaus in der Nähe des Gramercy Parks wohnte, wo ihn der Chauffeur der Astrals jeden Abend nach Dienstschluss absetzte. Und sie würde das so lange glauben, wie Sascha diese Idee aufrechterhielt. Tatsächlich würde er vor Scham vergehen, sollte sie jemals herausfinden, dass er in einer heruntergekommenen Mietskaserne wohnte.
»Der Punkt ist doch der«, fuhr Goldfaden immer energischer werdend fort, »dass das Hippodrome eine Geschichte und eine Seele hat. Und deshalb wird das Hippodrome nicht Harry Houdini im Regen stehen lassen, nur weil ein paar hinterwäldlerische Kongressabgeordnete meinten, einen Rabbi zum Vater zu haben mache einen gleich unamerikanisch!«
Goldfaden fuchtelte mit seinem Finger vor Wolfs Gesicht und mit seinem Schmerbauch drängte er den größeren Inquisitor Stufe um Stufe hinab bis auf den Bürgersteig. Bald standen beide im Regen, Goldfaden nur in Jackett und Weste. Doch das merkte er in seiner Aufwallung gar nicht, stieß vielmehr seinen Zeigefinger gegen Wolfs Brust.
»Und wissen Sie was, Herr Inquisitor? Wenn Sie glauben, Sie könnten mich dazu bringen, meine Freunde und Bekannte wegen anarchistischer Umtriebe anzuschwärzen –«
»Wenn es Sie beruhigt«, unterbrach ihn Wolf, »ich bin selbst ein Fan von Mr Houdini. In letzter Zeit hat er Mühe, Engagements zu finden. Sollte er im Hippodrome auftreten, würde ich gern eine Eintrittskarte erwerben.«
»Oh«, Goldfaden besann sich auf der Stelle. »Sie würden gern Harry im Hippodrome sehen? Die Inquisitoren würden das Theater gar nicht schließen, wenn wir ihm wieder einen Auftritt verschaffen? Meinen Sie, wir könnten sogar den Elefantentrick noch einmal bringen? Das heißt, Moment … der Elefant ist gerade auf Tournee. Und glauben Sie mir, diesen Trick sollte man nicht mit dem falschen Elefanten machen! Da müssen wir also etwas Neues bringen. Wie wäre es mit einer Geisterbeschwörung? Oder einer Entfesselungsnummer? Vielleicht unter Wasser?« Goldfadens Augen funkelten, er rieb sich schon in Vorfreude die Hände. »Harry müsste freilich erst wieder trainieren. Nichts wirft einen guten Zauberkünstler schneller aus der Bahn, als vor einem Kongressausschuss aussagen zu müssen.«
2 Ein Liebesdrama aus dem Schtetl
Während sie auf dem Weg zum Café Metropol durch Matsch und Schnee stapften, ließ sich Sascha ein bisschen zurückfallen, um mit Lily zu reden.
»Das ist das Seltsamste, was ich je gehört habe«, begann er.
»Möglich«, urteilte Lily, »aber trotzdem noch lange keine Aufgabe für die Inquisitionsabteilung. Ich bin es leid, Botengänge für Revierpolizisten zu machen.«
»Es bleibt ein Verbrechen. Und nichts macht Naftali Asher wieder lebendig, egal, aus welchen Gründen er gestorben ist.«
»Kann schon sein. Aber ich mag mir nicht länger die Füße wund laufen, nur weil Einwanderer, die weder lesen noch schreiben können, den Unterschied zwischen traditioneller Magie und ganz legaler
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