Der Schattenjäger (German Edition)
und deine Genossen im Café Metropol ausbrüten, wahrscheinlich nicht zustimmen werden?«
»Warum soll denn Naftali Asher nicht bei Hochzeiten seiner Nachbarn spielen?«, fragte Rabbi Kessler und überraschte Sascha mit dieser Frage. »Nicht dass ich ihn für den muntersten Klarinettisten halte, den ich jemals eine
Hora
habe spielen hören, aber Klezmorim sind nun mal für Hochzeiten. Für einen frommen Juden ist die Familie das Zentrum. Und Klezmermusik in der Konzerthalle irgendwie unjüdisch.«
Mo Lehrer sah verwirrt aus – und das passierte ihm häufig, denn Mo konnte in puncto Diskussionstalent den Kesslers nicht das Wasser reichen. »Moment mal«, sagte er, und sah Rabbi Kessler traurig und enttäuscht an. »Sie stimmen Ruthie zu?«
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte Saschas Großvater ohne Zögern, »sie ist meine Schwiegertochter! Ich bin niemals einer Meinung mit ihr, selbst wenn ich dazu meinen Standpunkt ändern muss!«
Sascha lachte so heftig, dass ihm der gerade getrunkene Tee wieder hochkam und sein Vater ihm auf den Rücken klopfen musste.
»Ich kann einfach nicht glauben«, wunderte sich Mo, »dass die Polizei Kid Klezmer noch nicht befragt hat. Das ist doch
a Schande far di gojim,
mit diesen Gangstern und Auftragskillern an einem Tisch zu sitzen und –«
»Ich habe Meyer Minskys Mutter viele Jahre gekannt«, unterbrach Mrs Kessler, »und ich darf sagen, dass ihr Sohn ein netter Junge ist, was auch andere über ihn sagen. Also, erzähl mir nichts von Auftragskillern.«
Sascha räusperte sich und erzählte von Wolfs Vorhaben, Meyer Minsky im Café Metropol zu treffen.
»Zu spät«, rief Mordechai. »Ich habe ihnen bereits
alles
erzählt.«
»Was denn
alles
?«, fragte Sascha.
»Oh«, fuhr Mordechai munter fort, »über dich, mich – und die holde Miss Astral.«
»Mit anderen Worten«, sagte Beka zu Sascha, »Mordechais große Klappe wird dir ewig nachhängen.«
5 Eine Seele wie klares Wasser
Am nächsten Morgen sah Sascha den geruhsamen Sabbatbräuchen entgegen. Zuerst ein Gang zur Synagoge und danach der Weg nach Hause, wo ein ausgiebiges, reichhaltiges Mittagessen auf ihn wartete. Für Rabbi Kessler hingegen war es der arbeitsreichste Tag der Woche, an dem er an die Grenzen seiner nachlassenden Kräfte gelangte. Alle Familienangehörigen halfen ihm, wo sie nur konnten, doch den Großvater schien es besonderes zu vergnügen, wenn Sascha ihn bediente.
Sascha hatte fast den Eindruck, dass sich in dieses Vergnügen ein wenig Schadenfreude mischte. Der alte Mann vergaß beinahe gewohnheitsmäßig Gebetsschal und
Tefillin
auf seinem Weg zur Synagoge, und jedes Mal musste Sascha kehrtmachen und sie holen. Monatelang hatte sich Sascha eingeredet, dass es nur Zufall war, aber am Ende fragte er sich, ob sein Großvater vielleicht wusste, was er mit den heiligen Gewändern letzten Sommer angestellt hatte.
Schon bei der Beschwörung der seelenfressenden Gestalt des Dibbuks war ihm klar gewesen, dass er etwas so Schlimmes wie noch nie in seinem bisherigen Leben tat. In der Woche vor
Jom Kippur
fürchtete Sascha, der Allmächtige werde ihn für dieses Verbrechen aus dem Buch des Lebens streichen. Und wenn sein Großvater ihn aus hellen Vogelaugen anschaute, hielt Sascha es für sicher, dass der alte Mann spürte, wie beschämt und elend er sich fühlte.
Viele Male hatte der Enkel Schal und Gebetsriemen auf mögliche Schäden untersucht, aber nichts gefunden. Dennoch wurde er den Verdacht nicht los, er könnte sie entweiht haben, sodass die Gebete des Großvaters ungehört verwehten wie trockenes Laub im Wind. Aber wie könnte der Rabbi dann noch mit ihm reden, geschweige denn Späße mit ihm machen?
»Tu mir doch einen Gefallen, leg den Gebetsschal an seinen Platz«, bat ihn sein Großvater, sobald die übrigen Familienmitglieder zu ihrem Samstagnachmittagsspaziergang aufgebrochen waren und nur noch sie beide allein zu Hause blieben.
Sascha fühlte sich ertappt. Er blickte sich um und sah den Schal am Bettpfosten hängen. Eigentlich sah es Rabbi Kessler nicht ähnlich, achtlos mit seinen Gewändern umzugehen. Sascha nahm das geweihte Tuch und faltete es hastig, dass es bis zum nächsten Sabbat in der Schublade verschwinden würde.
»Nein, nein, doch nicht so!«, wies ihn Rabbi Kessler zurecht. »Was glaubst du denn, was du da machst? Ein Butterbrotpapier zerknüllen, in dem ein Hot Dog eingewickelt war?«
Sascha stöhnte und faltete den Schal erneut und mit mehr Sorgfalt.
»Das ist
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