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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Wachstum, Junge, du brauchst dein Abendessen«, sagte Großvater Kessler. »Komm doch morgen Nachmittag nach der Synagoge zu mir; ich wollte sowieso in einer bestimmten Angelegenheit ein ernstes Wort mit dir reden. Aber dein Vorgesetzter bei der Polizei hat dich in letzter Zeit so beansprucht, dass ich mich manchmal schon frage, ob du überhaupt noch hier bei uns wohnst.«
    Sascha versuchte, die Aussicht auf ein ernstes Wort mit seinem Großvater eher leichtzunehmen, doch sein Großvater brach, als er Saschas Miene sah, in schallendes Gelächter aus.
    »Keine Angst. Ich werde nicht mit dir schimpfen, weil du wieder den Sabbatabend verpasst hast. Nun, deine Mutter ist da ganz anders. Für junge Männer, die ihr mit Liebe gekochtes Abendessen kalt werden lassen, meint sie, ist selbst der elektrische Stuhl noch zu gemütlich!«
    Mit einem Stöhnen ging Sascha in die Küche, wo seine Mutter noch mit Mrs Lehrer, Onkel Mordechai und Beka am Tisch saß. Alle kauten auf den Krümeln von Mrs Kesslers berühmtem Gugelhupf und übten gleichzeitig
die
Disziplin der Kesslers: diskutieren.
    Kaum hatte Mrs Kessler ihren Sohn reinkommen hören, da war sie auch schon zum Herd gesprungen. Sie stellte Sascha einen großen, vollen Teller hin, noch ehe sein Hosenboden den Stuhl berührt hatte, und gab ihm die
Challah
dazu. Währenddessen diskutierte sie munter weiter.
    »Streik ist für die
Gojim
«, behauptete sie, während sie Sascha Wein einschenkte. »Du vergisst diesen politischen Humbug und klemmst dich hinter deine Schulbücher, mein liebes Fräulein!«
    »Aber«, widersprach ihr Beka in vernünftigem Ton, den sie bewusst anschlug, wenn sie ihre Mutter auf die Palme bringen wollte, »mir wird der Streik viel mehr Zeit zum Lernen lassen.«
    »Darf ich dich darauf hinweisen, dass Sarkasmus nicht zu den Charakterzügen gehört, die nette Männer an einer Ehefrau besonders schätzen.«
    »Wir sind aber nicht mehr in Russland und amerikanische Männer erwarten von einer jungen Frau auch Verstand!«, empörte sich Beka.
    »Und was hat dein Vater wohl in meinem Kopf vermutet, als er mich geheiratet hat?«
    »An deinen Kopf hat er gar nicht gedacht«, neckte sie Onkel Mordechai grinsend, »er hatte nur deine anderen Reize im Sinn.«
    Saschas Mutter kreuzte die Arme vor der Brust und grinste bedeutungsvoll zurück. »Ich bin keine von diesen Theaterschicksen, die du erst umschmeicheln musst. Du gehörst zur Familie, also
muss
ich dich umsorgen.«
    »Und fern von mir sei der Gedanke, dir die Genugtuung über diese Familienpflicht zu rauben!«, verkündete Mordechai. »Wie schon der unsterbliche Dichter sagt: ›Auch die tun ihren Dienst, die nur sitzen und essen!‹«
    »Lass das Geschäker mit meiner Frau!«, rief Saschas Vater von nebenan. »Was wird geschehen, wenn du sie sitzen lässt und sie nur noch für mich kochen kann? Und übrigens, das sind Miltons Worte, die du da gerade malträtierst.«
    »Werde später bloß nicht so ein Besserwisser wie mein Bruder«, flüsterte Mordechai mit Theaterstimme Sascha zu.
    »Werde vor allem kein Schnorrer wie mein Bruder!«, erwiderte Mr Kessler.
    Als das Gelächter bald nur noch ein glucksendes Kichern war, kam Saschas Mutter auf ihre Auseinandersetzung mit Beka zurück. »Was ich sagen wollte«, begann sie wieder, »anständige Mädchen sollten sich nicht auf der Straße herumtreiben, Reden halten und sich von der Polizei verhaften lassen. Das ist
a Schande far di gojim!
«
    »Ich verstehe nicht, wieso es eine Schande sein soll, für meine Rechte zu kämpfen«, sagte Beka. »Frauen mit familiären Pflichten mögen Grund haben, sich zurückzuhalten. Aber jede ledige junge Frau, die sich nicht gegen die Unverschämtheiten des Kapitals wehrt, hat keinen Mumm in den Knochen! Und das sage ich jeder ins Gesicht, selbst wenn sie zweihundert Pfund wiegt und acht große Brüder hat!«
    »Spitze«, murrte Sascha, »dann darf ich mich mit den Brüdern herumschlagen. Falls du es noch nicht bemerkt hast, ich wiege keine zweihundert Pfund.«
    »Dann fang schon mal an, mehr zu essen«, ermunterte ihn seine Mutter und trug ihm noch eine Extraportion auf. Mehr essen, das war Ruthie Kesslers Antwort auf alle kleinen Herausforderungen des Lebens. Die angenehm rundliche Figur ihrer Tochter und die eins achtzig große, muskulöse Statur ihres Mannes machten ihren ganzen Stolz aus. Während die schmächtige Gestalt ihres Sohnes, obwohl er Tonnen von ihren traditionellen Gerichten verschlang, ihr Kummer

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