Der Schattenjäger (German Edition)
bereitete.
»Mama«, fragte Sascha, weil ihm plötzlich ein schrecklicher Gedanke kam, »was machst du eigentlich, wenn tatsächlich gestreikt wird?«
»Mich um meine Angelegenheiten kümmern und wie gewöhnlich zur Arbeit gehen.«
Seelenruhig erklärte Beka ihr: »Wenn gestreikt wird, kannst du nicht zur Arbeit gehen. Das ist doch der Zweck eines Streiks.«
»Da sieht man, dass du noch viel lernen musst, meine kleine Ich-hör-nicht-auf-den-Rat-meiner-Mutter-und-halte-mich-für-zu-klug-einfach-einen-Zahnarzt-zu-heirat en.«
»Wer heiratet?«, fragte Saschas Vater, als er mit Großvater Kessler am Arm zurück in die Wohnküche kam, wo der alte Mann auf seinem Platz im großen Federbett versank.
»Niemand, das ist ja das Traurige!«, erwiderte Saschas Mutter. »Wie oft muss ich euch noch bitten, dem Mädchen endlich Vernunft beizubringen?«
»Welche?«, fragte Saschas Vater verschmitzt. »Dieselbe, die dich dazu brachte, einen armen Studenten zu heiraten, der dir nicht einmal ein Dach über dem Kopf bieten konnte?«
»Das war etwas anderes«, sagte Mrs Kessler launenhaft. »Wir waren schließlich verliebt. Und nimm jetzt ruhig die Hand von meiner Taille und hör auf, mir verliebte Augen zu machen, Danny Kessler. Als ob Liebe mir nicht schon genug Kummer bereitet hätte!«
Doch sie konnte keinem etwas vormachen, zauste ihrem Mann in spielerischer Rache das Haar und legte eine extradicke Scheibe Kuchen auf dessen Teller.
»Na, Sascha«, sagte sein Vater, während er seinen Kuchen betrachtete, »was für schreckliche Verbrechen musstest du heute bekämpfen, die dich vom Abendessen abhielten?«
Sascha zuckte zusammen, doch sein Vater fuhr freundlich lächelnd fort: »Dir ist doch klar, dass ich dich dafür rüffeln muss, obwohl wir beide wissen, dass es nicht deine Schuld war und du dir alle Mühe geben wirst, nächste Woche pünktlich heimzukommen. Richtig?«
»Ja, richtig«, erwiderte Sascha. Dann berichtete er ihnen, was er über den Tod des Klezmerkönigs und den schauerlichen Tatort im Hippodrome wusste.
Zu Saschas Überraschung stellte sich Mo Lehrer als Experte für Klezmermusik und großer Bewunderer des Klezmerkönigs heraus. »Könnt ihr euch das vorstellen?«, wandte er sich an alle Versammelten, »das größte Klezmergenie unserer Zeit illuminiert sich wie ein Weihnachtsbaum, um ein paar mehr Eintrittskarten zu verkaufen?«
»Genie, dass ich nicht lache«, schimpfte Mrs Kessler. »Wollt ihr wissen, wie sein Klarinettenspiel in meinen Ohren geklungen hat? Wie eine Katze, die in eine Regentonne gefallen ist und heult, damit man sie wieder herauszieht! Und der Mann war geradezu krankhaft stolz. War sich zu schade, auf Hochzeiten zu spielen, beleidigte aber Leute auf der Straße, als ob jeder, der keine Karte für seine Konzerte kaufte, ein kleinkarierter Banause war. Wenn ihr mich fragt, ist Kid Klezmer tausendmal besser als der verrückte alte Asher!«
»Oh Ruthie, das ist jetzt aber nicht fair!«, protestierte Mo. »Ich will nichts gegen Kid Klezmers Musizieren sagen – obwohl die fragwürdige Gesellschaft, in der er spielt, schon zu denken gibt. Aber Naftali Asher war kein gewöhnlicher Klezmerklarinettist. Seine Musik gab der Tragödie des Exils Ausdruck, sie kam aus der Tiefe der jüdischen Seele, sie traf das Zentrum unseres Glaubens. Er war ein Genie! Seine göttlichen Melodien …«
»Unsinn!«, widersprach Mrs Kessler heftig. »Für wen hältst du ihn, für Gustav Mahler? Er war ein ganz gewöhnlicher Klezmermusiker, der sich plötzlich wunder was eingebildet hat, aber Kid Klezmer –«
»Sollte
wirklich
nicht auf Hochzeiten spielen, jedenfalls solange das Mädchen noch unverheiratet ist!«
Unterdessen stritten Beka und Onkel Mordechai heftig über den Streik bei Pentacle. »Aber das ist doch gerade mein Argument!«, sagte Mordechai mit der ganzen Leidenschaft, von der sein älterer Bruder behauptete, sie könnte ihm in der Welt viel einbringen, wenn er sie nur einmal für etwas Nützliches einsetzte. »Die Magischen Werktätigen der Welt begreifen einfach nicht, dass sie durch Verhandlungen nie etwas erreichen werden. Wir brauchen eine Revolution! Eine echte Utopie ist die einzige Hoffnung für die geknechteten, nach Freiheit lechzenden magischen Massen.«
»Und bis es so weit ist, sollen wir gar nichts tun?«, fragte Beka mit gespieltem Erstaunen. »Warum? Weil deine geknechteten magischen Massen noch nicht wirklich Hungers sterben und daher den hochfliegenden Plänen, die du
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