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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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den mit ausgestreckten Armen wartenden Schneidern im ersten Stock hinaufwarfen.
    Sascha war Wolf nun schon auf vielen dieser scheinbar ziellosen Spaziergänge gefolgt und war zu der Erkenntnis gekommen, dass dies zu Wolfs Methode gehörte, sich in einen Fall hineinzudenken. Er stellte ihm daher keine Fragen, sondern ließ sich zurückfallen und ging neben Lily her.
    Lily war immer noch mit der Geschichte um Shens Ehemann beschäftigt, von der Sascha ihr selbstverständlich alles erzählt hatte.
    »Ich kann immer noch nicht glauben, dass Morgaunt Shens Mann vor ihren Augen umgebracht hat«, empörte sie sich. »Das ist schrecklich! Und Wolf muss sich deswegen furchtbar schuldig fühlen. Kein Wunder, dass sie ihn nach allem, was passiert ist, niemals heiraten wird.«
    »Ja, daran wird es wohl liegen«, kommentierte Sascha sarkastisch, »dass er Weißer und sie Chinesin ist, stellt sicher kein Hindernis dar.«
    »Halbchinesin«, verbesserte ihn Lily.
    »Oh ja, wie konnte ich das nur vergessen. Die Polizeileitung würde ihn bestimmt nur halb entlassen, wenn er es dem Direktor erklären müsste.«
    »Der arme Wolf«, sagte Lily voller Mitgefühl. »Schreckliche Dinge geschehen in seiner Nähe. Habe ich dir schon erzählt, was meine Mutter letztens meinte? Sie glaubt, dass er verflucht ist. Er sei im Zeichen des Feuers geboren und daher heften sich Tod und Unglück an seine Fersen.« Lily schielte zu Wolf und flüsterte: »Sie glaubt, der Brand im Hotel Elefant sei seine Schuld gewesen.«
    »Du kennst doch die Wahrheit, Lily! Das ist eine boshafte Lüge!«
    »Ja, gewiss«, räumte sie zögernd ein, »es war Morgaunt, der das Feuer im Hotel gelegt hat. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass es mit allen, die Wolf zu nahe kommen, ein schlimmes Ende nimmt. Das glaubt übrigens auch mein Vater, und der ist sehr skeptisch in diesen Dingen.«
    »Warum lassen sie dann ihre zarte Tochter bei einem solch gefährlichen Umgang in die Lehre gehen?«
    Lily biss sich auf die Lippen, und wenn für Sascha die Vorstellung einer weinenden Lily Astral nicht ganz undenkbar gewesen wäre, hätte er fast meinen können, Tränen in ihren Augen gesehen zu haben. »Mein Vater will, dass ich die Lehre abbreche«, flüsterte sie. »Meine Mutter wollte alles so wohl nicht, sie verbreitet nur böswillige Gerüchte um Wolf, weil« – und nun zögerte Lily – »weil er ihr nicht wie die meisten anderen Männer zu Füßen liegt. Und dafür hasst sie ihn.«
    »Lily!«
    »Ich kann doch nichts dafür, dass meine Mutter so ist. Du hast sie kennengelernt, also weißt du, wovon ich rede.«
    Sascha wurde rot. Er erinnerte sich nur ungern an seine einzige Begegnung mit Maleficia Astral. Anders als Wolf, war er ihrem Charme sofort erlegen. Und der Verdacht beschlich ihn, dass Lily seine Schwäche weder vergessen noch verziehen hatte.
    »Doch darum geht es gar nicht«, fuhr Lily fort. »Mein Vater hat gestern mit Mitgliedern aus seinem Klub über Wolf gesprochen. Was dabei herauskam, behält er für sich, aber am Abend hat er bei Tisch gesagt, ich solle die Lehre abbrechen.«
    »Und was nun?«, fragte Sascha mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, das er lieber nicht so genau deuten wollte.
    »Vorerst gar nichts. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht begreife, will meine Mutter nicht, dass ich den Dienst quittiere. Am liebsten hätte sie die ganze Sache gegenüber meinem Vater gar nicht erwähnt.«
    »Dann streiten sie sich deswegen?«
    »Sie streiten nie. Sie schweigen sich wochenlang an, und wer es von ihnen länger aushält, gewinnt.«
    Sascha fand zwar, dass das eine seltsame Methode war, Meinungsverschiedenheiten zu lösen, aber er hielt es für klüger, seinen Mund zu halten. Lily hatte keine Hemmungen, Entsetzliches über ihre Familie zu berichten, aber aus Erfahrung wusste Sascha, dass sie bei diesem Thema so empfindlich reagierte wie ein Löwe mit einem kranken Zahn.
    »Ist irgendwas?«, fragte Wolf. Er hatte sich nach ihnen umgedreht, da sie hinter ihm zurückblieben.
    »Nein!«, riefen beide im Chor.
    »Dann ist es ja gut«, meinte Wolf, zwischen beiden hin- und herschauend.
    Auf der Höhe der Green Street schlängelten sie sich durch den dichten Verkehr, um zum Washington Square zu gelangen. Unterhalb des Marmorbogens an der Nordseite des Parks legten sich Zeitungsjungen ihre Bündel mit den neuesten Ausgaben zurecht. Wolf steuerte direkt auf sie zu, er ließ keine Gelegenheit aus, eine Zeitung zu kaufen. Der Mord an dem Klezmermusiker sorgte

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