Der Schattenjäger (German Edition)
das ganze Wochenende über für Schlagzeilen.
Ein Zeitungsjunge trat an sie heran, schwenkte eine Ausgabe und rief: »Extrablatt! Extrablatt! Lesen Sie alles über die Jagd auf den Klezmermörder!«
GANGSTER UND ANARCHISTEN!, lautete die Schlagzeile. Und weiter hieß es: POLIZEI JAGT KLEZMERMÖRDER ZWISCHEN GLITZERWELT UND MIETSKASERNEN-TRISTESSE!
Im Hauptartikel des Tages ging es ausschließlich um den armen Sam Schlosky. Nur war das nicht Sam, sondern ein erfundener Schurke, der halb als Gangster von Magic Inc. und halb als anarcho-wiccanistischer Terrorist dargestellt wurde. Wollte man den Zeitungsleuten glauben, grenzte es an ein Wunder, dass auf der Lower East Side überhaupt noch Nachbarn von ihm lebten, ohne Schaden an Leib und Seele erlitten zu haben. Und mitten auf der Titelseite prangte ein Foto von Sam – eine kleinere, noch dünnere Variante seines großen Bruders Moische – und quer darüber die Aufschrift: GESUCHT ! TOT ODER LEBENDIG !
Wolf warf die Zeitung zu Boden und stapfte Richtung Fifth Avenue davon. Bei jedem Zeitungsjungen, an dem er vorbeikam, kaufte er eine weitere Zeitung. Und mit jeder Zeitung wuchs sein Zorn.
Sascha eilte hinter Wolf her und war froh, dass er seinen Vorgesetzten nie verärgert hatte. Er wusste nicht, ob Keegan die Jagd auf Sam Schlosky regelrecht angeordnet hatte oder ob sich die Journalisten das aus Gerüchten zusammengereimt hatten. Doch wer auch dafür verantwortlich war, Sascha wollte nicht in dessen Haut stecken, wenn Wolf ihn erwischte.
9 Paytons Glück
Zurück auf dem Präsidium stürmte Wolf durch Keegans Vorzimmer, ohne auf das Entsetzen von dessen Sekretärin Rücksicht zu nehmen, stieß die Tür zum Büro des Polizeichefs auf und überraschte Keegan mit den Beinen auf dem Schreibtisch bei einem nicht ganz dienstlichen Telefongespräch.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Wolf und warf die Zeitungen auf Keegans Schreibtisch.
»Nun, der Mann ist nun schon seit einer Woche tot und Sie haben noch nicht einmal den Hauptaugenzeugen ausfindig gemacht«, rieb Keegan Wolf unter die Nase. »Wie lange hätten Sie mich noch warten lassen wollen?«
»Und um mich noch etwas anzustacheln, haben Sie einfach die ganze Stadt auf einen Jugendlichen gehetzt, der eher das nächste Opfer als der Mörder sein könnte!«
»Selbst wenn Schlosky nicht direkt verdächtig ist«, gab Keegan leichthin zu, »ist er doch das Einzige, das wir derzeit haben. Also sollten wir das Beste daraus machen.« Wolf zwang sein streitlustig verzerrtes Gesicht zurück in seine übliche, ausdruckslose Miene, vergrub die Hände in den Manteltaschen und schaute zu Boden. Als er wieder aufblickte, beherrschte ihn wieder die unerschütterliche Ruhe, für die er bekannt war.
»Also schön. Wenn Sie nichts dagegen haben, gehe ich jetzt wieder an die Arbeit. Entschuldigen Sie bitte die Störung.«
»Äh, ja, schon recht«, grummelte Keegan. Er war durch Wolfs plötzlichen Stimmungswechsel etwas verunsichert. »Schicken Sie mir einen Bericht, sobald Sie etwas haben!«
»Selbstverständlich«, antwortete Wolf mit seinem Routinelächeln. »Obwohl, Sie wissen über den Fall
so
gut Bescheid, da wüsste ich gar nicht, was ich noch berichten sollte.« Dann marschierte er stracks aus Keegans Büro, dass seine Lehrlinge Mühe hatten, ihm zu folgen. Wolf nickte nur knapp Philip Payton zu und verschwand in sein Büro. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Sascha hatte in der ganzen Zeit, seit er für Wolf arbeitete, noch nie erlebt, dass dieser die Tür hinter sich geschlossen hätte. Durch sie hörte man, wie er erst seinen Mantel auf den Boden fallen ließ und sich dann auf den Stuhl setzte. Wenig später folgte das Geräusch von Rosies Kinematographen. Danach erklang nur noch Ashers herzzerreißender Schwanengesang.
»Der ist ja fuchsteufelswild«, befand Payton. Er dachte kurz nach und fragte dann Sascha: »Was hat Moische doch gleich über das Lüften von Sams Geheimnis gesagt?«
»Dass es einen Skandal geben werde«, sagte Sascha.
»Und dass Morgaunt als der intrigante Verbrecher enttarnt würde, der er tatsächlich ist«, fügte Lily hinzu.
»Hm«, machte Payton nur.
Lily stampfte ungeduldig auf. »Aber Payton, Sie können doch nicht ›
Hm
‹ sagen und sich dann in Schweigen hüllen!«
»Kann … ich … das … nicht?«, fragte Payton gedehnt. Dann schlenderte er durch das Büro und zog verschiedene Schriftstücke aus den Aktenbergen. Bei aller Unordnung in Wolfs Büro schaffte es Payton
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