Der Schattenjäger (German Edition)
eure Mütter wohnen! Meyers Mama wohnte drei Häuserblocks weiter in der Orchard Street, bis er ihr vergangenes Jahr ein Haus in den Brooklyn Heights gekauft hat. Und Myrtle Fein wohnt in der Hester Street 18 zwei Treppen über uns, im fünften Stock links. Sie schwatzt jeden Samstagnachmittag mit meiner Mutter –«
»Natürlich!«, rief Benny plötzlich, als hätte er eine göttliche Eingebung, »daher kenne ich das Frollein!«
»Jaja«, fuhr Beka ungeduldig fort. »Ich bin das Mädchen, dessen Bruder für die Inquisitoren arbeitet. Wir haben ihn mitgebracht. Er ist ein gefährlicher Mann, also spaßen Sie nicht mit uns!«
»Hallo, Benny«, grüßte Sascha verlegen, womit er alles ruinierte.
»Wie geht’s denn so?«, fragte Benny herablassend. »Hat dein Boss mittlerweile rausgekriegt, wer den Klezmerkönig flambiert hat?«
»Äh, noch nicht.«
»Benny!«, unterbrach Beka. »Können wir jetzt mit Meyer sprechen?«
»Er ist nich’ da, Frollein«, antwortete Benny artig.
»Warum ist dann sein Auto wie jeden Morgen gegenüber geparkt?«
Benny blickte Bekas Zeigefinger hinterher. Und tatsächlich, da stand Minskys Auto glitzernd in der Morgensonne. Doch Benny gab so rasch nicht auf.
»Nicht jeden Morgen«, wandte er widerwillig ein.
»Richtig«, sagte Beka, »die acht Monate, als er in Sing Sing saß, nicht.«
Bennys Gesicht nahm einen melancholischen Ausdruck an »Warum müssen Sie das wieder aufwärmen, Frollein? Bloß weil ein Typ –«
»Sie wird nicht wieder darauf zurückkommen«, schaltete sich Moische ein. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mr Fein, könnten Sie Mr Minsky mitteilen, dass das Zentralkomitee der IMW hier ist und ihn wegen des Streiks bei Pentacle sprechen möchte.«
»Wer? Ihr?« Die verblüffte Miene war mit einem Mal echt. Er schaute in die Runde der Wobblies und mit jedem neuen Gesicht wurde sein Grinsen breiter. »Aber ihr seid noch so kleine Kinnas!«
Moische unterdrückte mühsam einen Seufzer. »Was glauben Sie denn, wer sonst bei Pentacle arbeitet?«
»Hmm, ja. Aber wenn’s da ’nen Streik gibt, dann kommen die Bullen. Vielleicht sogar die Inquisitoren. Und dann« – er beugte sich zu ihnen und sagte mit einem Ausdruck, der dem von Saschas Mutter täuschend ähnlich war – »dann seid ihr ganz schön in Schwierigkeiten.«
Sascha unterdrückte schnaubend einen Lachanfall.
Dopey Benny sah ihn mitleidsvoll an. »Haste Heuschnupfen? Is ein schlimmes Jahr für Heuschnupfen. Hat mich auch schwer erwischt.«
»Menschenskinder!«, rief Minsky entnervt aus dem Hinterzimmer. »Lass sie einfach durch, Benny!«
Benny seufzte aus tiefer Seele, geleitete sie in Minskys Heiligtum und baute sich, die mächtigen Arme vor der Brust verschränkt, neben der Zimmertür auf.
Minsky saß lässig in einem Ledersessel und hatte die Füße, die in spitzen Schuhen steckten, auf einen schweren Eichenschreibtisch gelegt. Der Tisch hätte eher in J. P. Morgaunts Bibliothek gepasst. Während das Streikkomitee nach und nach eintrat, warf Minsky rhythmisch ein Fünfcentstück in die Luft und fing es mit dem Rücken seiner linken Hand auf.
»Was wollt ihr von mir?«, fragte er, während Benny noch die Tür schloss.
Moische und Beka erläuterten abwechselnd die Lage.
»Ich ergreife keine Partei, es sei denn, ich werde dafür bezahlt«, sagte Minsky, als die beiden fertig waren. »Partei ergreifen ist nicht gut fürs Geschäft.«
»Wir wollen ja nicht, dass Sie uns unterstützen«, erwiderte Moische. »Wir bitten Sie nur, sich herauszuhalten.«
»Das ist wie Partei ergreifen«, stellte Minsky fest.
»Haben Sie etwa Angst davor?«, ereiferte Beka sich.
Minsky sah sie erstaunt an.
»Halten Sie mich für einen Angsthasen?«, fragte er mit furchterregender Stimme. »Ehe Sie meine Frage beantworten, sollte ich Ihnen vielleicht sagen, was mit dem letzten Mann passiert ist, der mich so genannt hat.«
Beka hielt Minskys starrem Blick stand, zuckte aber doch zusammen, als er seine kleine Geldmünze auf den Schreibtisch warf, wo sie sich geräuschvoll drehte, bis sie unheilverkündend mit Zahl nach oben liegen blieb.
Benny scharrte unruhig mit den Füßen. »Sei nicht zu hart zu ihr, Boss, sie ist doch nur –«
»Ein Kind?«, fragte Meyer Minsky mit sanfter Stimme. »Das glaube ich nicht, Benny. Ich glaube nicht, dass die hier nur Kinder sind.«
Er stand auf, trat an Beka heran, legte einen manikürten Finger unter ihr Kinn, hob ihren Kopf an und sah ihr fest in die Augen. Dann schritt
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