Der Schattenjäger (German Edition)
kleiner Besuch.«
»Bei wem?«
»Morgen Vormittag. Wir holen dich zu Hause ab.«
»Wen wollt ihr mit mir besuchen?«
»Es ist ganz in der Nähe, keine Minute von hier. Und du brauchst wirklich nichts zu machen. Es wäre sogar besser, wenn du gar nichts machst. Es genügt, dass du dabei bist.«
»Wen?«
»Es ist in der Essex Street.« Moische machte wieder das Geräusch der Gans. »Äh, in dem Süßwarenladen.«
Sascha fiel die Kinnlade herunter.
»Nicht was du denkst«, sagte Beka, als sie Saschas Gesichtsausdruck sah. »Du sollst nicht mit Meyer Minsky reden. Das Reden übernehmen wir. Wie Moische schon sagte, du brauchst nur dabei zu sein.«
»Ihr wollt in den Süßwarenladen in der Essex Street gehen und mit Meyer Minsky reden«, brachte Sascha schließlich hervor, »nur ihr beide.«
»Nein, nicht nur wir beide. Das ganze Zentralkomitee der IMW kommt mit.«
»Und wer sind die?«
Beka nannte die Namen von fünf weiteren Jugendlichen, keiner von ihnen war kräftiger als Sascha.
»Ihr habt sie wohl nicht mehr alle! Wisst ihr nicht, was Minsky und seine Schläger mit euch machen werden? Nachdem sie sich vor Lachen ausgeschüttet haben, meine ich.«
»Doch, schon«, sagte Beka einsichtsvoll. »Deswegen brauchen wir ja dich!«
»Denn«, so setzte Moische hinzu, »alle wissen, dass du bei den Inquisitoren bist. Deshalb werden sie glauben, du verfügst über große Zauberkraft.«
»Obwohl wir wissen, dass du dich nicht mal aus einer Papiertüte befreien könntest«, unterbrach Beka.
»Mit anderen Worten, du kannst als Friedenswächter dienen, indem du alle Beteiligten davon abhältst, Gewalt anzuwenden«, erklärte Moische. »Gibt es etwas Besseres in der Welt, als dem Frieden zu dienen?«
»Oh, ich weiß nicht«, sagte Sascha sarkastisch, »wie wäre es mit heilen Knochen? Oder den Kontakt mit Dopey Benny Fein lieber zu meiden und sich weiterhin seines Lebens freuen?«
»Bitte, Sascha«, sagte Beka, »du musst uns helfen. Wenn kein Blut fließen soll, müssen wir Meyer Minsky auf unsere Seite bringen, ehe der Streik beginnt. Sonst leiht Magic Inc. seine Schläger dem Meistbietenden aus. Und das wird J. P. Morgaunt sein. Wenn aber Magic Inc. die Streikfront zerschlagen soll, dann kannst du dir denken, wie das enden wird.« Das konnte Sascha in der Tat.
Wenn die IMW mit dem Streik Erfolg haben wollte, musste sie Meyer Minsky auf ihre Seite bringen oder ihn wenigstens dazu bewegen, sich herauszuhalten, nur dann hatten sie eine Chance gegen Morgaunt. Natürlich gab es ein großes Problem bei Bekas Plan.
»Wie soll ich euch vor Magic Inc. beschützen«, fragte Sascha, »wenn ich noch nicht einmal einen Zauberspruch kenne, um mein eigenes Leben zu retten?«
»Aber sie wissen doch nicht, dass du gar nicht zaubern kannst«, entgegnete Beka schlagfertig. »Sie wissen nur, dass du für die Inquisitionsabteilung arbeitest.«
»Und das soll Beweis genug sein?«
»Selbstverständlich. Die Inquisitoren verzaubern doch ständig Leute.«
»Tun sie nicht!«
Beka sah ihn wieder so an, wie sie ihn stets ansah, wenn er gerade etwas ihrer Meinung nach so Dummes gesagt hatte, dass sie nicht einmal darüber lachen konnte. »Ach, Sascha. Warum wollen denn Leute Inquisitoren werden? Doch nur, weil sie Magie benutzen, um andere zu schikanieren, und als Inquisitor darf man das ganz legal.«
»Das ist doch lächer.«
»Ach ja? Wie kommt es dann, dass verhaftete
Wobblies
, also die Mitglieder der Gewerkschaftsbewegung, immer die Treppe hinunterfallen oder stolpern und sich den Kopf an der Bordsteinkante blutig schlagen? Und warum fürchtet sich selbst Meyer Minsky vor einer Nacht in den Katakomben der Gruft?«
»Inquisitor Wolf tut so etwas jedenfalls nicht!«
Beka holte Luft für das nächste Argument, doch dann stockte sie und ihr Gesicht bekam einen sorgenvollen Ausdruck. »Gewiss, Sascha«, sagte sie.
»Was?«
»Nichts.«
»Was?!«
»Du hast sicher recht. Schließlich arbeitest du für ihn.«
»Warum redest du auf einmal so mit mir?«
»Wie denn?«
»Du bist … höflich. Gar nicht wie eine Kessler. Als ob du meinst, er habe mich einer Gehirnwäsche unterzogen, und du könntest mir nicht mehr vertrauen.«
»Das hast du gesagt«, stellte Beka fest.
Sascha wandte sich an Moische. »Denkst du das auch?«
»Tja, weißt du, Sascha …« Moische wand sich wie ein unterernährter Houdini, der sich aus einer Zwangsjacke befreien wollte.
»Na fein«, sagte Sascha kindlich trotzig, »ich gehe mit euch in diesen
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