Der Schattenjäger (German Edition)
Schwindsüchtige in ihrer Todesstunde.
»Er hat mir meine Erinnerungen genommen, und in meinen Träumen flüsterte er mir immer wieder zu, welch schreckliche Dinge er dir und Beka antun werde, wenn ich mich widersetze.«
Seine Mutter griff sich an den Hals, als ob glühende Kohlen sie quälten. Magie zuckte in der Luft um sie herum. Sascha spürte die Hitze, die seine Mutter ausstrahlte. Und es roch wie verbrannt, aber das phantasierte er wohl nur.
»Ich kann den Zauber nicht brechen«, sagte Wolf knapp. »Er benutzt Ihre eigenen magischen Kräfte, um mich abzuwehren. Welche Macht hat er über Sie, Mrs Kessler?«
»Retten Sie meinen Sascha!«, schrie sie. »Er hat Saschas Seele in seiner Gewalt.«
Mit einem Schlag wurde Sascha klar, was sie meinte, und hörte eine entfernte Stimme wie von kaltem Eisen, die ihn verhöhnte und quälte. Seine Mutter hatte den Dibbuk gesehen. Das war es, was Morgaunt diese Macht über sie verlieh. Und mit dem Herzen einer Mutter hatte sie erkannt, was Sascha nicht wahrhaben wollte, als sein Großvater es ihm erklärte: Sascha und der Dibbuk waren ein und derselbe. Er konnte nicht ohne seinen Schatten und sein Schatten nicht ohne ihn leben.
Seine Mutter schloss jetzt beide Hände um ihren Hals, dann verdrehte sie die Augen und fiel ohnmächtig zu Boden.
Sascha sprang zu ihr, um sie aufzufangen. Ihre Haut fühlte sich an wie eine heiße Ofenplatte. Ein gellender Schrei entfuhr ihm und er hätte sie beinahe fallen lassen. Wolf und Payton, die Hände in Fetzen der Nähabfälle gewickelt, halfen ihm beim Tragen.
Als sie die Ohnmächtige vorsichtig auf den Boden legten, hörte Sascha etwas klimpern. Eine Handvoll glitzernder Edelsteine fiel aus Mrs Kesslers Mund und rollte über den staubigen Fußboden. Erst hielt Sascha sie für Diamanten, doch dann begannen die Steine zu zischen. Unter aufsteigendem Dampf wechselten sie ihre Farbe von glänzendem Weiß zu Orange und schließlich zum intensiven Rot glühender Kohlen. Sie wurden so heiß, dass sie sich in den Holzboden einbrannten.
Wolf schob die glühenden Steine mit dem Fuß beiseite und sengte dabei seinen Lederstiefel an.
»Mögen deine Worte zu glühenden Kohlen in deinem Hals werden«, raunte er einen alten Fluch. Dann flog ein Lächeln über sein Gesicht, als er sah, was Ruthie getan hatte. »Aber sie hat ja die Kohlen mit einer Eisschicht überzogen. Darauf muss man erst mal kommen! Eine kluge Frau!«
Das Lächeln verflog und machte einem besorgten Stirnrunzeln Platz.
Die Flammen züngelten jetzt wie Schlangen um Saschas Mutter. Dann mischte sich ein anderer Zauber in die Flammen, ein kalter, winterlicher Hauch, so still und gedämpft wie eine New Yorker Nebenstraße am Morgen nach dem ersten Schneefall.
Die beiden Zauberkräfte kämpften, doch es war vergebens, das Feuer siegte. Die glühenden Wangen seiner Mutter, ihr röchelnder Atem waren Zeichen genug.
»Hol deinen Großvater, Sascha!«, befahl Wolf. »Lauf!«
Sascha und Lily betraten die Schul in der Canal Street, als Rabbi Kessler gerade einen Disput mit seinen Lieblingsschülern begann.
»Wunderbar, wunderbar!«, rief Großvater Kessler entzückt, als er Sascha sah. »Wir brauchten noch Verstärkung, um einen
Minjan
zu bilden, und da schneist du herein!«
Dann sah er Saschas angespannte Miene und folgte ihm hinaus.
Sie sahen schon die Fabrik, als Sascha ein vertrautes, blubberndes Geräusch hörte. Er drehte sich um und hinter ihnen fuhr die Limousine der Astrals. Mo und Rabbi Kessler staunten, als das lange, schnittige Automobil neben ihnen hielt, und noch mehr, als die hintere Wagentür aufging und Maleficia Astral hinausglitt, ganz in weiße Spitze gekleidet wie ein Rettungsengel.
»Oh, Gott sei Dank!«, rief Lily. Und ohne Sascha eine Chance zum Widerspruch zu lassen, schob Mrs Astral ihn und die beiden Rabbis in das Auto. Mo entschuldigte sich wortreich bei ihr, weil er auf ihr Kleid getreten war, während Mrs Astral dem Chauffeur etwas zuflüsterte und sie schon weiterfuhren.
»Das ist ja aufregend!«, sagte Mrs Astral. »Er sagte mir, ihr seid hier, und ich eilte gleich los, euch abzupassen.«
»Wer hat dir das gesagt?«, fragte Lily misstrauisch.
»Pst, Liebling«, flüsterte Mrs Astral. Sie klang abwesend, wie immer, wenn sie mit ihrer Tochter sprach.
»Hören wir, was die Männer zu sagen haben.«
Und dann wandte sie sich Sascha zu.
»Sascha«, flüsterte Lily und zupfte ihn am Ärmel … aber es war zu spät. Sascha hatte nicht in das
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