Der Schattenjäger (German Edition)
und damit sein Leben schlagartig verändert wurde.
Der Dachboden war so geräumig und hallig wie die Werkräume, die sie in den unteren Stockwerken durchsucht hatten. Der ganze Fußboden war mit einer dichten Staubschicht bedeckt, und nur eine schmale Spur führte zu einer modernen, dampfbetriebenen Nähmaschine, an der eine einsame Näherin arbeitete.
Wie sie so mit festen Stichen letzte Hand an eine Bluse legte und die Nähte straff hielt, konnte von Magie keine Rede sein. Wohl aber beim Anblick des pulsierenden Scheins, der sie umgab, oder genauer gesagt, was hinter diesem geschah. Hunderte von Hemden hingen in der Luft, Schulter an Schulter, wie Fahrgäste zu Stoßzeiten in der U-Bahn. Darüber ruckten Tuchballen hin und her und Spulen flitzten wie flinke weiße Spinnen. Und die ganze Zeit über machten die Hemden jede Bewegung der Näherin nach, nähten sich selbst aus dünner Luft zusammen, als wären sie gehorsame Schüler in einer magischen Klasse.
So atemberaubend dieses Schauspiel auch war, Sascha beachtete es kaum. Er hatte nur Augen für die Frau, die dort an der Nähmaschine saß: Ruthie Kessler, seine Mutter.
Mrs Kessler blickte auf und hielt inne. Auch die Hemden und Blusen erstarrten, überraschten Gespenstern gleich.
»Oh weh«, sagte sie und versuchte, sich ein argloses Aussehen zu geben, »hoffentlich kriegst du jetzt keinen Ärger, Sascha.«
25 Das Gesicht des magischen Streikbrechers
»Mutter!«, rief Sascha.
»Was?«,fragte sie mit einem Achselzucken. »Jeder muss sich irgendwie durchschlagen.«
»Aber – aber …«
Wolf räusperte sich. »Dürfte ich Sie bitten-«
Doch weder Sascha noch seine Mutter beachteten ihn.
»Ich habe es doch nur für dich und Beka getan«, rechtfertigte sich Mrs Kessler. »Ich wollte dir eine Chance im Leben geben! Ich wollte dir geben, was ich nie hatte!«
»Weiß Vater davon? Oder hast du ihn angelogen, wie mich und Beka?«
»Ich wollte die Männer nur nicht unnötig beunruhigen. Sie nehmen die Magie so schrecklich ernst. Und außerdem handelt es sich nicht um echte Magie.« Sie wies mit der Hand in die Luft über der Nähmaschine, um anzudeuten, dass das ganze Schauspiel – die sich auftürmenden Tuchballen, die im ganzen Raum schwebenden Hemden und Blusen, die jetzt wie Marionetten ohne Fäden schlaff herabhingen – nur ein Trug sei, der nichts mit Magie zu tun hatte. »Ich habe nur getan, was eine Mutter eben tun muss.«
»Dürfte ich Sie bitten?«, mischte sich Wolf ein.
»Hören Sie«, raunzte Sascha, »falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Ich rede mit meiner Mutter!«
»Und bald wirst du auch mit ihrem Boss reden müssen, wenn wir nicht bald von hier verschwinden!«, sagte Payton und zeigte mit dem Finger nach oben.
Sascha blickte Paytons Finger hinterher und sah einen Spiegel über der Tür. Der Spiegel war klein und staubig und hing viel zu weit oben an der Wand, als dass irgendjemand sich darin hätte sehen können. Dafür bot er einen ausgezeichneten Blick über den ganzen Dachboden.
»Wir müssen gehen!«, drängte Payton.
Sascha streckte die Arme aus, um seiner Mutter beim Aufstehen zu helfen – und im gleichen Augenblick sah er sie von Magie überströmt. Gleißendes Feuer umspielte ihre vertrauten Gesichtszüge und gab ihr das Aussehen einer Fremden. Jetzt begriff er, dass es nicht ihr Zauber war, der diese kalten, stählernen Flammen hervorbrachte. Er kannte nur eine Person, die solche Magie beherrschte.
»Mit welchem Zauber hat er Sie belegt?«, fragte Wolf. Er schob Sascha beiseite und schüttelte Mrs Kessler, als fürchtete er, sie würde ihren Verstand verlieren. »Ich kann Sie nicht retten, wenn Sie mir nicht sagen, welchen Bann er verwendet hat!«
Sie wollte sprechen, doch die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Wieder öffnete sie den Mund, aber es war kein Laut zu hören. Jetzt sah Sascha, wie die Magie sie mit einem Flammenkranz umgab.
Sie schluckte mit gequältem Gesicht, als ob etwas Scharfkantiges an ihren Hals drückte. Die Magie wurde immer stärker und bedrohlicher, sie breitete sich aus wie eine Hitzewelle über loderndem Feuer. Doch Saschas Mutter schien gegen den sie umgebenden Zauber anzukämpfen. Zwar war sie nicht stark genug, sich von ihm zu befreien, aber es reichte, ein paar Worte durchdringen zu lassen, ehe sich der Bann erneut über ihr schloss.
»Ich habe es für dich getan, Sascha!«, sagte sie mit einer Stimme wie durch einen brennenden Hals gepresst, und dann hustete sie wie eine
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