Der Schattenjäger (German Edition)
sagte er. »Schnee von gestern, wie Shen sagen würde.«
Sascha wartete, aber Wolf sprach nicht weiter. Offenbar wollte er in dieser Angelegenheit keine weiteren Worte verlieren.
»Kann ich dann wieder zurück in den Dienst?«
»Nun, willst du das überhaupt?«
»Ich – ich weiß es nicht.«
»Na, wenigstens bist du ehrlich. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Ehrlichkeit eine gute Voraussetzung für eine Karriere in der New Yorker Polizei darstellt.«
»Meinen Sie, dass es in New York für einen ehrlichen Inquisitor keinen Platz gibt?«
»Jedenfalls nicht viel«, gestand Wolf. Doch dann grinste er. »Aber du bist ja so ein schmales Kerlchen. Wer weiß, wenn du dich nur hübsch still verhältst, bemerkt dich vielleicht niemand.«
»Vielen Dank«, nuschelte Sascha. »Das macht Mut.«
Und damit hatte er seinen Job wieder.
»Was wolltest du mir eigentlich über Sam Schlosky mitteilen?«, fragte Wolf jetzt ernst.
Sascha erzählte ihm von dem Nebbich und was dieser Schreckliches zu berichten hatte. Als er mit seiner Geschichte fertig war, rief Wolf Payton und Lily in sein Büro und bat Sascha, das Ganze noch einmal zu erzählen.
»Was denken Sie darüber, Payton?«, fragte Wolf, als Sascha geendet hatte.
»Ich meine, wir sollten einen Durchsuchungsbefehl für die Pentacle-Fabrik anfordern.«
»Das würde bedeuten, den einen der beiden ehrlichen Richter in New York beim Abendessen stören und ihn um einen der wenigen, kostbaren Gefallen bitten«, sagte Wolf.
»Ich weiß, aber ganz gleich, wer der neue magische Schneider ist, er schwebt in noch größerer Gefahr als Naftali Asher.«
Drei Stunden später standen sie mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Pentacle-Fabrik. Der Pinkerton an der Pforte wollte protestieren, er müsse erst die Betriebsleitung fragen, ehe er sie einlassen dürfe. Doch Wolf sah ihn nur einmal eindringlich an und schon sank der Mann unter unverständlichem Gemurmel in sein Kabuff zurück.
»Vergeuden wir keine Zeit«, sagte Wolf. »Ich weiß nicht, wie lange er außer Gefecht gesetzt ist.«
In der folgenden Stunde durchsuchten sie die Fabrik von oben bis unten. Je mehr Sascha von den Räumlichkeiten sah, desto schlimmer wurde die Vorstellung, dass seine Mutter und seine Schwester hier arbeiteten. Wenn die beiden früher davon gesprochen hatten, »in die Fabrik« zu gehen, hatte er sich darunter immer ein gut durchdachtes und modernes Industriegebäude vorgestellt mit beeindruckend großen Maschinen. Stattdessen glich die Fabrik dem Nähzimmer der Lehrers, nur in riesigen Ausmaßen, vollgestellt mit Nähmaschinen, Dampfbügeleisen und Bergen von Textilwaren, die das wenige Licht aufhielten, das durch die schmutzigen Fenster fiel. Es war schon schlimm genug, dass seine Mutter von morgens bis abends, sechs Tage in der Woche an diesen Nähmaschinen schuftete. Aber dass die siebzehnjährige Beka ihr ganzes Arbeitsleben an diesem Ort verbringen müsste, drehte Sascha den Magen um.
Die Inquisitoren suchten alles ab zwischen den Reihen der stillstehenden Nähmaschinen. Mit jedem neuen Werkraum, den sie durchstöberten, verstärkte sich ein unangenehmes Gefühl. Es hatte etwas Unheimliches, durch eine stillgelegte Fabrik zu gehen. Der Lärm und das geschäftige Treiben von Hunderten von Menschen fehlten, die sonst die Räume erfüllten, und diese Leere schlug sich auf Saschas Gemüt. Ja, fast war es ihm, als spürte er, wie sich der Staub auf die aufgetürmten Tuchballen legte und der Rost die stillstehenden Maschinen fraß.
Lange blieb ihre Suche erfolglos. Die Fabrik war so leer wie ein Mausoleum. Doch dann öffnete Payton eine nicht beschriftete Tür, die zu einer steilen, schmalen Holztreppe führte – und von dort wehte das ferne, aber eindeutige Surren einer Nähmaschine herunter.
Je weiter sie die Treppe hinaufschlichen, desto lauter wurde das Rattern der Nähmaschine und überdeckte das Geräusch ihrer Schritte. Oben empfing sie warmes, gelbes Licht, das durch eine halb offene Tür fiel. Obwohl der Lärm der Maschine hier oben fast dröhnend laut war, hörte Sascha eine weibliche Stimme heraus: Die einsame Näherin sang bei ihrer Arbeit.
Wolf und Payton huschten über den Treppenabsatz, gefolgt von Sascha und Lily. Dann machte Wolf die Tür, die zum Dachboden führte, ganz auf. An Wolfs Gesichtsausdruck erkannte Sascha sofort, dass ihre Suche erfolgreich war. Und als er dann selber um den Türpfosten lugte, wusste er, dass sie den magischen Produzenten gefunden hatten
Weitere Kostenlose Bücher