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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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sie zu retten gewesen. Sie war noch längst nicht verloren. Man hätte nur einen richtigen … Ich wollte … ich hätte sie Euch niemals … einem dahergelaufenen Lumpen … Ihr wusstet, dass Ihr sie nicht heilen würdet. Aber der Held wolltet Ihr sein. Kostenlos wohnen und Euch vollfressen, das wolltet Ihr. Und ich habe dabeigestanden und Euch vertraut. Ihr seid schuld, Ihr habt sie mir genommen.« Das Gesicht des Wirtes verzog sich vor Zorn. Rotz und Tränen hinterließen glänzende Spuren. Nach der Zeit des Bangens war er in die Tiefe der Bitterkeit gestürzt.
    Alvin sah durch die Tür nur die friedlich nebeneinanderliegenden Beine der Frau auf dem Bett. Der Wirt versperrte ihm den Zugang zur Kammer, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    Gestern Abend noch hatte der Wirt ihn zu Hilfe geholt. Mit zittriger Stimme hatte er ihn angefleht, irgendetwas zu tun. Als Alvin die Wirtin auf dem Bett hatte liegen sehen, hatte er gewusst, dass es schlimmer um sie stand als beim letzten Mal. Die Adern traten noch mehr hervor, das Fieber schien ihr in jedem Augenblick eine unendliche Marter zu bereiten. Manchmal verdrehte sie die Augen, schrie und stöhnte und ihr Körper bäumte sich auf, als würde die Krankheit den letzten Rest Lebenswillen aus ihr herauspressen.
    Diesmal , hatte Alvin gedacht, wird es schwieriger werden. Er hatte ihr wieder das Mittel gegeben und es hatte gewirkt. Sie war ruhig geworden, das wilde Pochen an ihren Schläfen hatte aufgehört. Der Wirt hatte ihn erleichtert verabschiedet und ins Bett geschickt.
    Heute Morgen hatte Alvin an der Tür geklopft, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Und nun das.
    »Es tut mir leid, bitte glaubt mir …«
    »Ich glaube Euch nichts mehr!«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie war nicht mehr …«
    »Ihr lügt.« Er packte Alvin am Kragen. »Ihr habt versprochen, Ihr würdet sie heilen. Ich habe keinen Arzt geholt, weil ich Euch vertraut habe. Und jetzt habe ich sie für immer verloren. Für immer!«
    »Es tut mir leid.« Ihm fielen keine Worte mehr ein.
    Der Wirt machte eine Pause, als sammle er alle Kräfte, die ihm noch geblieben waren. »Geht!«, zischte er kaum hörbar, aber so bedrohlich, als hätte er gebrüllt. »Geht!« Er zog Alvin am Kragen zur Treppe. »Geht und kommt mir nie wieder unter die Augen, Ihr Scharlatan!«
    Alvin schaute ihn traurig an, während er rückwärts die Treppe hinunterstolperte.
    »Na los, geht, ehe ich Euch das antue, was Ihr verdient hättet! Geht und schert Euch fort! Und wagt es nicht, jemals wieder dieses Haus zu betreten! Jeder wird erfahren, was Ihr getan habt. Ich werde es den Nachbarn erzählen, ich werde es meinen Gästen erzählen. Alle werden sie hören, dass Euretwegen meine Frau nicht mehr am Leben ist. Na los, geht und verschwindet!«
    Alvin war an der Tür angelangt. Er öffnete sie und wandte sich ein letztes Mal dem Wirt zu, dessen Augen noch immer drohend auf ihn gerichtet waren.
    »Ich hoffe … Euch wiederzusehen. Es tut mir leid«, sagte er mit verstörtem Blick und wandte sich ab.
    Als er mit gesenktem Kopf die Straße hinabging, hörte er das Knallen der Tür, dann lautes Brüllen und Weinen dahinter. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass fast all seine Sachen oben in der Kammer geblieben waren: seine Kleider, seine Steine, sein Geld. Nur den Beutel mit den wichtigsten Dingen – seine Mittel, ein paar Chemikalien, seine Aufzeichnungen – hatte er umgehängt. Genau diesem Beutel hatte er das furchtbare Erlebnis zu verdanken. Und doch wäre es das Schlimmste gewesen, ihn zu verlieren.
    Er sah an seinen Kleidern herab. Er hatte sich nach dem Aufstehen nur das einfache Hausgewand übergeworfen. Damit würde er es schwer haben, dachte er sich.
    Und so kam es auch. Wo immer er nach Arbeit fragte, wies man ihn ab. Auf einen Fremden ohne Geld wollte sich keiner einlassen. Er fragte auch dort, wo er früher gearbeitet hatte. Doch als er seine Geschichte erzählte, sagte man ihm, dass man das Unheil nicht zu sich ins Haus einladen wolle.
    So führte ihn sein Weg dorthin, wo alle landeten, die nichts mehr hatten. Das kleine Viertel am Ostrand der Stadt war eng, die Wege bestanden aus lehmiger Erde und die Menschen kochten an offenen Feuern auf der Straße dünne Suppen. Alvin fand einen Platz in einem verlassenen Steinhaus, wo sich abends mit ihm fünfzehn andere schlafen legten. In der Nacht fror er und er war dankbar, dass tagsüber jeder am Feuer willkommen war. Man gab ihm von der Suppe und einige

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