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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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sie wieder. Sie sah schon fast erwachsen aus, trieb ihre Späße mit den Wachen und half ihrem Vater bei den Verhandlungen. Alvin beobachtete sie, wie sie am Brunnen Wasser für die Tiere holte und dabei einen kleinen Jungen nass spritzte. Er ging zu ihr, nahm ihr den Eimer ab und rang um Worte.
    »Du bist aber ein schüchterner Kerl«, sagte sie. »Ich wette, bei dir im Palast darf man keinen Laut von sich geben.«
    Von da an war er in sie verliebt gewesen. Immer wenn der Winzer Gregor seine Lieferung brachte, machte der Prinz seinen Spaziergang im Hof. Mit jedem Mal kamen ihm Elenas Haare schöner und ihre Stimme anziehender vor. Als sie achtzehn war, konnte er durchsetzen, dass sie über Nacht im Palast bleiben durfte. Bei Mondlicht saßen sie nebeneinander auf dem Dach des Kornspeichers und sahen in die Stadt hinunter. Er redete immer noch nicht viel mit ihr, aber wenn sie ihn anblickte, wusste er, dass sie von ihm fasziniert war.
    Alvin unterbrach seinen Ausflug in die Vergangenheit. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Gleich würden seine Freunde kommen und er wollte zu ihnen sprechen. Sosehr er Elena liebte: Nun waren andere an der Reihe. Vielleicht gehörte es ja zu Elenas Liebenswürdigkeiten, gerade dann aufzutauchen, wenn man sie nicht erwartete, überlegte er sich. Aber nein, jetzt brauchte er Disziplin.
    Er kämmte sich die Haare, strich sein Gewand glatt und ging nach unten.
    Nicht lange danach war es so weit. Eine Rede halten. Wie sein Vater das machte, das wusste Alvin. Der Erbauer von Briangard war bekannt dafür, dass er reden konnte. Doch konnte es auch sein Sohn?
    »Meine Freunde«, begann er und brachte sie so zum Schweigen. »Es macht mich stolz, euch hier zu sehen. Ich betrachte das nicht als selbstverständlich. Jeder von euch weiß, welcher Gefahr er sich aussetzt, wenn er hier ist, um den Kampf gegen die Seuche zu führen. Jeder von euch ist bereit, seinen Ruf aufs Spiel zu setzen für eine Sache, deren Erfolg alles andere als gewiss ist.« Er schaute in ihre Gesichter und glaubte darin zu erkennen, dass er ihre Aufmerksamkeit hatte.
    »Und doch möchte ich versuchen, eure Hoffnung und euren Glauben aufleben zu lassen. Ich möchte euch wissen lassen, dass ich fest mit einem Erfolg rechne, scheint er auch noch fern zu sein. Ihr fragt euch, woher ich diese Hoffnung nehme. Nun, zuerst sehe ich sie, wenn ich die Augen öffne und mich umschaue. Ich sehe sie in den frischen Wänden, Balken und Türen. Nicht nur eure Mühe und euer Schweiß stecken darin, sondern das erste Stück Hoffnung, das ihr bereit wart, für dieses Haus zu verschwenden. Doch ich habe in den letzten Wochen noch mehr Hoffnung gesehen.«
    Er hielt inne und ließ wieder seinen Blick schweifen. Fünf Zuhörer. Es war nicht unbedingt ein großes Publikum. Aber es war anspruchsvoll und es verdiente das Beste, was man ihm bieten konnte. Sie verdienten seine Ermutigung.
    »Ich habe sie in zahlreichen Gesichtern gesehen. Menschen, die Qualen erlitten und sich dem Tod nicht fern glaubten, bekamen Trost und Linderung. Sie konnten ihren Blick wieder dem Leben zuwenden, auch wenn sie wissen, dass es begrenzt ist. Ihr wisst, dass es zum Leben ein Weg ist, ebenso wie es zum Tod ein Weg ist. Wir sind auf dem Weg zum Leben und es ist ein guter Weg. Ich werde euch nie versprechen, dass es leicht wird. Wir werden neben den dankbaren Freunden immer auch Feinde haben, Menschen, die uns nicht trauen oder die so geblendet sind von alten Vorstellungen, dass sie uns nicht ertragen können. Ihr müsst sie ertragen, wenn ihr nicht aufgeben wollt.
    Ich wünsche mir für jeden von uns, dass er auch noch in hohem Alter bereit ist, sein Leben für etwas einzusetzen, was größer ist als er selbst. Dafür ist der Mann, der uns dieses Haus hinterlassen hat, der Mann, der die letzten Monate seines Lebens mehr eingesetzt hat als je zuvor, ein Vorbild. Lasst uns unserem Freund Ortwin nacheifern und beschließen, dass wir das Beste aus seinem Vermächtnis machen.«
    Alvin beschloss die Rede, sie umarmten ihn und sagten ihm ihre Hilfe zu. Sie aßen zusammen, plauderten und genossen die Musik von Ramons Drehorgel.
    Vier Wochen lag Ortwins Beerdigung nun zurück. Sie hatten ihn alle noch kennengelernt. Ortwin war in Frieden und mit wenig Schmerzen gestorben, noch ehe er miterleben durfte, wie seine Schmiede in neuem Glanz erstrahlte.
    Sie alle hatten ihr Bestes gegeben. Unter ihnen war ein Zimmermann, der die morschen Balken auswechselte. Ein Färber

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