Der Schattensucher (German Edition)
Dunkelheit näherte er sich dem Haus, ritt aber nicht zum Tor, sondern in die Straße, die an der Seitenmauer entlangführte. Als er etwa die Mitte erreicht hatte, hielt er an.
So, mein gutes Tier. Dein letzter Dienst für mich. Danach kannst du machen, was du willst.
Er stellte sich auf den Rücken des Pferdes und sprang von dort an der Mauer hinauf. Über den Rand konnte er in den Hof blicken, in den gerade ein Soldat nach dem anderen gerannt kam, während das Gebäude ächzte und krachte. Ein letztes Mal wandte er sich zu seinem Pferd zurück, schnalzte und sah ihm nach, wie es die Straße hinuntergaloppierte.
Der Rauch und die Panik verhinderten, dass er bemerkt wurde, als er die Mauer hinunterkletterte, einen toten Brianer um die Ecke zog und kurz darauf in dessen Helm und Rüstung zurückkehrte. Sein Gesicht hatte er mit Erde und Ruß unkenntlich gemacht.
Später sah er Jason zu, wie er mit dem Hund über den Hof wanderte und die Leichen untersuchte. Levin sorgte dafür, dass sein Abstand zu Jason möglichst groß war. Als sie losritten, reihte er sich ganz hinten ein.
Während des ruhigen Ritts hinauf nach Briangard gönnte er sich einen Halbschlaf. Er war froh, dass ihn niemand ansprach. Bei Morgengrauen durchquerten sie das Tor. Er hatte nicht gemerkt, dass Jason irgendwann verschwunden war. Doch im Vorhof war er froh, ihm nicht zu begegnen.
Er stellte das Pferd im Stall ab und trottete Richtung Kaserne. Das entsetzte, schwermütige Treiben im Hof nahm er kaum wahr. Erst als er an einer Menschengruppe vorbeikam, die mit ersticktem Schweigen um ein Pferd herumstand, schaute er auf. Über die Schultern einer weinenden Frau hinweg beobachtete er, wie man Normans Leichnam vom Pferd hob.
Der Schreck durchzuckte Levin wie ein Blitz. Alle Zufriedenheit über das, was er in dieser Nacht erreicht hatte, erstarb in diesem Moment.
Ein trüber, ein sehr trüber Morgen war angebrochen.
28. Kapitel
Alsuna, Jahr 296 nach Stadtgründung
Man hatte ihn gewarnt. Die Frauen hier seien zuchtlos, verführerisch und ansteckend. Schon die Luft in einem Freudenhaus könne einen krank machen. All das konnte Alvin nicht aufhalten.
Es war der Tag, an dem er endgültig beschlossen hatte, dass es keinen anderen Weg gab. Sicher war es nicht seine Wahl gewesen, dass er gerade einer solchen Frau das Blut abnehmen würde, das er brauchte. Aber am Ende machte es keinen Unterschied. Er saß am Bettrand, sie atmete schwer, die üblichen Fieberanfälle und Blutstauungen. Bevor er das Serum hervorholte, nahm er ein leeres Gläschen zur Hand. In der anderen hielt er eine Nadel.
»Keine Angst, das geht ganz schnell.«
Auf seine Bemerkung reagierte sie vor lauter Schmerzen gar nicht. Eigentlich hatte sie auch mehr den zwei anderen Frauen gegolten, die in der Nähe der Tür standen und mitzitterten. Eine von ihnen hatte auffallend helle Haut. Sie war es gewesen, die am Nachmittag in die Schmiede gekommen war. Normalerweise hätte Alvin ihr einfach ein Fläschchen mitgegeben und erklärt, wie sie es zu verabreichen habe. Doch stattdessen hatte er sie freundlich angeschaut, ihr gesagt, dass er persönlich vorbeikommen werde und sie sich noch bis zum Abend gedulden solle. Ramon und andere hatten versucht, ihn davon abzubringen. Das Haus sei im ganzen Stadtviertel verrucht. Man höre die ekelhaftesten Dinge. Wenn ihn jemand dort erwische, könnte das ein schlechtes Licht auf sie alle werfen.
Ja, das könnte es, wie so vieles. Aber wozu war er denn hier? Sicher nicht, weil er um seinen guten Ruf besorgt war.
Er hielt ihren Arm fest und stach die Nadel ein. Ein dicker Blutstropfen wölbte sich empor und rann an ihrem Arm herab. Levin hielt das leere Fläschchen darunter und wartete, bis es etwa zur Hälfte gefüllt war. Dann band er ihr ein Stück Stoff um und verabreichte das Mittel.
»Wie lange wird es dauern, bis es ihr wieder gut geht?«, fragte die hellhäutige Frau, als sie draußen im Gang waren.
»Üblicherweise eine Nacht.«
»Und wann kann es wieder ausbrechen?«
»Jederzeit. Ihr solltet wissen, dass es dann meist schlimmer kommt.«
»Und … wird sie daran sterben?«
Er blickte sie ernst an. »Jeder stirbt einmal.«
»Sehr bald, oder?«
»Man kann nicht wissen, wie lange es noch dauert. Aber eines steht fest: Sie darf nie mehr … Ihr wisst schon …« Sie nickte und schwieg. »Die Gefahr, jemanden anzustecken, wäre zu groß.«
Am Ende des Flurs verabschiedete er sich, nahm ihren Dank entgegen und ging nach draußen. Er
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