Der Schattensucher (German Edition)
grüßte die beiden Männer, die an der Tür saßen, und machte sich auf den Weg nach Hause.
Na so etwas, der Sohn das Grafen , sagte er sich, als er durch den Türspalt in den Gang hinausspähte. Es war eine ganze Weile her, seit er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Da war er gerade mal ein Junge gewesen, der soeben seinen Stimmbruch hinter sich gehabt hatte. Aber das Gesicht und die rotblonden Haare, nein, da täuschte er sich gewiss nicht.
Wenn das wirklich der Mann war, für den er ihn hielt, hatte er eine echte Entdeckung gemacht. Seit einer Weile schon ging das Gerücht um, der junge Prinz von Briangard sei spurlos verschwunden. Die wildesten Vermutungen wurden in Umlauf gebracht: Feinde des Grafen hätten ihn getötet, der Prinz sei vor dem Vater geflohen, der Graf selbst hätte ihn beseitigt.
Nichts davon hatte er sich wirklich vorstellen können. Ihm war aber auch keine Idee gekommen, was die wahre Ursache sein konnte. Nun wusste er wenigstens eines: Prinz Alvin lebte.
Soeben verabschiedete er sich. Seltsam, dass die Frau sich bei ihm bedankte. Normalerweise war es umgekehrt. Er lachte in sich hinein. Wenn der Graf wüsste, wo sein Sohn sich herumtrieb …
»Komm doch endlich.«
Er drehte sich zu der Frau um, die auf der Polsterbank saß und ihn erwartete. Selbst jetzt, wo er mit den Gedanken weit weg war, bewunderte er ihre unübersehbare Grazie. Er war nicht hier, um auf schnellstem Wege das zu bekommen, was die anderen Männer wollten. Er hatte Geschmack. Er ließ sich betören, vorsingen, massieren. Das reichte ihm. Es war mehr als das, was die anderen bekamen, sagte er sich. Wenn sie es brauchten, bitte. Er brauchte es nicht. Nicht der Körper bestimmte das Leben, sondern der Geist.
»Warte einen Moment. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Er ging hinaus in den Gang und traf auf die Hellhäutige.
»Nanu, wieso kommt Ihr schon wieder heraus? Ist Santa nicht gut zu Euch?«
»Keine Sorge, sie ist liebreizend wie immer. Ich muss nur meinen Männern etwas sagen. Der junge Mann scheint Euch viel Freude bereitet zu haben.«
»O ja, das hat er«, sagte sie schmunzelnd und ging davon.
Er schüttelte spöttisch den Kopf und öffnete die Tür. Seine beiden Männer richteten sich rasch auf.
»So so, habt ihr euch mal wieder ausgeruht.«
»Herr, wir hatten alles im Blick, keine Sorge.«
»Schon gut. Aber jetzt gibt’s was zu tun. Ihr habt eben diesen Mann davonspazieren sehen.« Sie nickten. »Bleibt an ihm dran und lasst euch nicht von ihm erwischen. Ich will wissen, wo er wohnt und was er tut. Gebt mir Bericht, so schnell ihr könnt.«
Damit ging er ins Haus zurück.
29. Kapitel
Briangard, Jahr 304 nach Stadtgründung
Drei Tage hüllte sich Briangard in Trauer. Der Hauptmann und einunddreißig Soldaten wurden am Fuß des Reimutgebirges beigesetzt. Auf dem Weg dorthin stimmten sie alle den Gesang des Lebens an. Der Graf ging voran und fand nur wenige Worte, als er die Grabrede hielt.
Als die drei Tage um waren, ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Levin hatte seine letzten Wachdienste im Palast mit hängendem Kopf und völlig übermüdet durchgeführt. Elena hatte ihre mütterliche Seite gezeigt, seine Wunde versorgt und ihn nicht weiter danach gefragt. Die meiste Zeit blieb sie im Haus, bei Dienstschluss erwartete sie ihn schon. Er war dankbar für den freudigen Blick, mit dem sie ihn empfing. Wenn sie den Verband von seinem Bein abnahm und die Wunde mit festen Händen einrieb, wünschte er sich, sie würde nicht mehr aufhören. Er sah ihren sorgsamen Bewegungen zu, lächelte über die Haarsträhne, die sich jedes Mal aus der Frisur stahl, und war versucht, sie ihr hinters Ohr zu streichen. Es wärmte ihn innerlich, wenn sie sagte: »Du siehst schon besser aus als gestern«, auch wenn er das nicht glaubte.
Heute wäre er nach seinem Dienst am liebsten gleich zu ihr zurückgekehrt, doch Thanos wollte ihn sehen. Er wusste nicht, weshalb, doch er befürchtete, dass es um die jüngsten Ereignisse gehen würde. Diesem Thema hätte er derzeit alles vorgezogen.
Kraftlos klopfte er an die Tür und betrat das Labor. Thanos stand an den Tischen bei seinen Instrumenten. Unweigerlich musste Levin seinen Blick nach hinten zu den Gläserregalen richten, hinter denen das dunkle kleine Fenster sich versteckte. Der Gedanke an sein Missgeschick und alles, was darauf gefolgt war, versetzte ihm einen stechenden Schmerz.
»Gut, dass du gekommen bist. Verzeih mir, dass ich so vertieft bin. Manchmal verliere
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