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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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betrat. Hätte er alle Umstände ausgeblendet, hätte er sich wohl ausgemalt, wie es sein würde, in diesem Gemach zu leben.
    Erst auf den zweiten Blick fiel es ihm auf: Es gab doch etwas höchst Prächtiges und Kunstvolles in diesem Raum. An der rechten Wand hing es und leuchtete ihm entgegen. Er ging ein paar Schritte darauf zu. Seine ganze Aufmerksamkeit ruhte nun darauf. Es war ein Mantel, einer, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Der Stoff glänzte weitaus brillanter als jeder Seidenstoff. Formvollendet waren die Ränder geschnitten und mit feinsten Stickereien konturiert. Am meisten beeindruckten ihn die Farben. Er konnte nicht sagen, welche Farbe der Mantel im Ganzen besaß, jede ihm bekannte schien irgendwie in dem Muster eine Rolle zu spielen. Trotzdem traten sie nicht wild und beliebig auf, sondern erschienen in einer Anordnung, die man für die einzige mögliche in dieser Welt halten konnte. Der Mantel war – Levin fiel kein besseres Wort ein – vollkommen.
    Thanos gesellte sich zu ihm. »Er gefällt dir wohl.«
    »Es ist ein besonderes Kleidungsstück.«
    »Das ist es in der Tat. Vor zehn Jahren habe ich ihn machen lassen. So lange ist das schon her.«
    »Du trägst ihn aber nicht.« Levin fuhr vorsichtig mit den Fingern über den Stoff.
    »Er ist auch nicht für mich. Es ist ein Prinzenmantel.«
    Levin drehte sich fragend um. Alle möglichen Gerüchte über den Grafen und seinen Sohn kamen ihm auf einmal wieder in Erinnerung.
    »Es gibt einen Prinzen?«
    »Es gab. Er ist … nicht mehr hier.«
    »Also war er dein … Sohn?«
    »Ja. Das war er. Er sollte diesen Mantel tragen.«
    »Was … was ist geschehen?«
    Thanos wandte sich ab und ging zum Fenster. Er öffnete es und fütterte einen heranfliegenden Vogel. »Der Mantel erinnert mich an eine wichtige Sache: Es ist immer riskant, jemandem viel anzuvertrauen. Möglicherweise überfordert es ihn.«
    »Was meinst du damit?«
    »Linus, es ist kein kleines Angebot, das ich dir mache. Du sollst wissen, dass andere vor dir an dem Vertrauen gescheitert sind, das ich ihnen gegeben habe. Das ist das Schlimmste, was passieren kann.«
    »Wieso gehst du dieses Risiko dann ein?«
    »Wieso tue ich das? Ich kann es dir nicht erklären. Ich bin jemand, der es mehr als alle anderen vermag, zu warten. Ich warte auf Zeitpunkte. Als du im Hof mutig vor mich getreten bist, habe ich erkannt, dass eine neue Zeit angebrochen ist; eine Zeit, wieder etwas zu riskieren. Vieles wird in der nächsten Zeit geschehen. Und ich habe meine Ziele niemals aufgegeben.«
    »Du möchtest die Herrschaft zurück.«
    »Das geht nicht so leicht, wie du es dir vorstellst. Ich kann nicht einfach wieder über die Menschen herrschen. Sie müssen sich beherrschen lassen wollen. Sonst ist es keine Herrschaft. Wenn ich die Menschen nicht mehr selbst entscheiden lasse, habe ich die Stadt schon verloren.«
    »Du möchtest sie also dazu bringen, dich wieder herrschen zu lassen.«
    »Wenn du von ›ihnen‹ sprichst, dann musst du dich selbst mit einbeziehen.«
    Levin wollte eine Antwort geben, doch er wusste, dass sie vorschnell gewesen wäre. Erst jetzt begriff er die Tragweite dessen, was er gerade tat. Immer mehr gewann er den Eindruck, sein eigenes Schicksal war mit dem von Alsuna stärker verbunden, als er geglaubt hatte.
    Was Thanos sagte, hörte sich nicht an, als wollte er ein Tyrann sein. Immer lächerlicher erschien ihm das Bild, das die Bürger von Thanos hatten. Es machte den Grafen primitiv und verschleierte die wahre Macht, die Thanos ausstrahlte. Keiner von ihnen kannte sie wirklich. So wie Levin das einschätzte, wollte Thanos nicht einfach über die Leute hinweg herrschen, nein, er wollte sie ganz in seinen Bann ziehen. Er wollte über sie verfügen, nachdem sie ihm ihren Willen ausgeliefert hatten. Unmündige Lämmer sollten sie werden, die nur das taten, was ihm gefiel und dabei das Gefühl hatten, das Richtige zu tun.
    Und nun war er, Levin, der Mensch, der ihm am nächsten sein sollte. Ihn schauderte.
    »Ich weiß, du bist noch sehr jung, Linus. Du fragst dich, warum ich dich und nicht Jason ausgewählt habe.«
    »So ist es. Jason ist erfahren.«
    »Aber dich habe ich ausgewählt. Das ist der entscheidende Unterschied.«
    »Würden die Brianer es akzeptieren, dass ein Alsuner der zweite Mann auf Briangard ist?«
    »Das ist in der Tat ein Problem. Aber ich sehe eine einfache Lösung: Du wirst Brianer.«
    »Du meinst, ich soll …«
    »Es wird etwas wehtun. Wenn du den Bussard auf der

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