Der Schattensucher (German Edition)
die Passage in der Kaserne und zu den Ställen. Linus konnte nur zu Fuß unterwegs sein. Mit dem Pferd konnte Jason den Rückstand aufholen. Er schnappte sich einen Rappen, ritt zum Tor und sagte, er müsse etwas Wichtiges in der Stadt erledigen.
»Falls ich im Lauf der Nacht nicht zurückkehren sollte, dann formiert ein Heer und kommt zur Weberei im Ostviertel.« Damit ritt er über die Zugbrücke und in die Stadt hinunter.
Er kannte den Weg noch. Diesmal trieb ihn die Eile voran. Eine halbe Stunde dauerte es, dann hatte er die Straße erreicht, die er suchte. Er stieg ab, band das Pferd an ein Geländer und schritt vorsichtig zum Nachbarhaus der Weberei. Von dort arbeitete er sich näher heran und spähte mit einem Auge durchs Fenster. Fünf Männer sah er. Sie schienen zu warten. Einer ging nervös auf und ab. Ein anderer schnitzte an einem Holzmännchen. Linus war nicht dabei.
Eine Weile beobachtete er sie, dann hörte er bei einem der Häuser ein Geräusch. Schnell verschwand er hinter einer dunklen Ecke. Zuerst tat sich nichts. Ein paar Minuten musste er ausharren.
Schließlich schritt ein in Grau gekleideter Mann auf das Haus zu. Er . Sofort erkannte er seinen Gang, seine Statur. Auf seinem Rücken trug er einen Beutel – Linus’ Beutel.
Ich wusste es doch. Verflucht, ich wusste es! Immer hatte ich diese Ahnung, aber ich habe mich viel zu spät auf sie eingelassen. Ich habe nur auf meinen verblendeten Verstand gehört. Was für ein Schock für den Erbauer, wenn er die Wahrheit erkennt. Und was für eine Dankbarkeit, wenn er merkt, dass ich es war, der ihn vor diesem Betrüger beschützt hat.
Fieberhaft beobachtete er Linus, der vor der Tür stehen blieb und ein Stück Papier beschriftete, was auch immer das sollte. Schließlich steckte Linus das Papier in den Türspalt und ging davon.
Was sollte er tun? Sollte er ihn verfolgen? Vermutlich war das zu gefährlich. In diesen Gassen war Linus ihm deutlich überlegen. Nein, ihm fiel etwas Besseres ein.
Als er sich sicher war, dass Linus sich weit genug entfernt hatte, schlich Jason zur Tür, zog das Papier heraus und entfaltete es. Große, unförmige Kohlebuchstaben formten die Worte: Ihr könnt mich mal. Der Schattensucher
Was sollte das? Hatte er die falsche Entscheidung getroffen? Wäre er Linus besser nachgeschlichen? Es war zu spät. Nun blieb ihm nur noch eine Möglichkeit.
Er drückte die Türklinke herunter, schob vorsichtig die Tür auf und sah in fünf erwartungsvolle Gesichter, die bei seinem Anblick schlagartig einen enttäuschten Ausdruck zeigten.
»Ich grüße Euch, meine Herren. Ich hoffe, ich störe nicht.« Er schloss die Tür hinter sich. »Bevor Ihr über mich herfallt, möchte ich Euch versichern, dass ich Euch nichts tun werde. Mein Name ist Jason, ich bin Hauptmann der äußeren Wache von Briangard. Vorige Woche zerschlug mein Heer das Hauptquartier der Ritter von Alsuna . Wenn Ihr Euch als hilfsbereit erweist, wird Euch dieses Schicksal erspart bleiben.« Er hob das Papier hoch. »Ich möchte alles über den Schattensucher erfahren.«
35. Kapitel
Alsuna, Jahr 296 nach Stadtgründung
Alvin hatte sie zusammengerufen – den Minenarbeiter mit seiner Frau, Ramon, dessen Knecht, drei ihrer jüngsten Helfer und den Färber. Sie schauten beklommen drein, als sie am Esstisch saßen. Nur Ramon wusste schon Bescheid. Ein vorläufiger Abschied würde es sein, hatte Alvin gleich am Anfang angekündigt. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu wählen.
»Ein bisschen habe ich Angst, dass ihr ohne mich aufgebt. Dabei weiß ich im Grunde, dass eure Herzen entschlossen sind, unter allen Umständen weiterzumachen. Das gibt mir die nötige Kraft für meine Entscheidung.« Er hielt inne und hoffte, dass sie ihn nicht gleich mit Fragen überhäuften. Lieber wollte er ihnen alles langsam erklären und dann irgendetwas anderes tun. »Ihr wisst, dass mich vor wenigen Tagen zwei Männer verfolgten. Ich weiß nicht, zu wem sie gehörten und was sie vorhatten. Aber mir ist klar geworden, dass wir so nicht weitermachen können. Irgendwann würde ich sie zur Schmiede führen und wir alle wären gefährdet. Es ist nun einmal so, dass wir mittlerweile eine Menge Aufsehen erregen. Das bemerken auch unsere Feinde. Es ist besser, wenn ich für eine Weile aus ihrem Blickfeld verschwinde.«
»Aber da gibt es doch sicher eine andere Lösung«, protestierte einer der Neuen. »Du kannst hier im Haus bleiben. Wir werden dich versorgen und
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