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Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)

Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)

Titel: Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dane Rahlmeyer
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bestand sein Boden nicht aus Stein, sondern aus lockerer, fast schwarzer Erde.
    Daraus sprossen Gewächse, von denen manche an faustgroße Knollen erinnerten, mit winzigen Blättern auf der Spitze. Nur wenn man genau hinsah, erkannte man zwei Stummel an den Seiten, aus denen sich irgendwann die Arme bilden würden. Andere waren schon weiter ausgebildet und besaßen bereits Köpfe, dünne Ärmchen und winzige Knopfaugen. Sie ragten bewegungslos aus der Erde, bis Orrm ihnen aus einer hölzernen Kanne Wasser gab – dann begannen sie, sich zu regen und gaben mit piepsigen Stimmen ein erfrischtes »Aaahhh« von sich. Kriss hielt halb erschrocken die Hand vor den Mund. Sie verstand, warum Bria von diesen Geschöpfen so fasziniert gewesen war.
    »Wofür habt ihr die Speere?«, hatte sie gefragt, als sie einen Krieger passierten. »Was jagt ihr?«
    »Nichts«, hatte Orrm erklärt. »Die Kinder der Erde ... töten nicht für Nahrung.«
    Sein Volk ernährte sich allein von Licht, den Mineralien der Erde (die sie gewissenhaft düngten) und Wasser aus dem kleinen Bach, der am Dorf vorbeiplätscherte. Einmal war ein kurzer Schauer über die Insel gegangen und während die Menschen in den ihnen zugewiesenen Häusern Zuflucht suchten, hatten sich die grünen Riesen in der Dorfmitte eingefunden und mit offenen Händen den Regen empfangen. Dabei hatten sie gesungen: ein perfekter Chor aus tiefen und hohen Stimmen. Ihr Gesang hatte Kriss tief berührt. Sie war glücklich, dass sie diesen Moment hatte miterleben dürfen.
    Ohne die Notwendigkeit zu jagen oder Ackerbau zu betreiben, hatten die Kinder der Erde viel Zeit zum Dichten und zum Philosophieren. Sie erfanden Lieder, die ganze Wochen dauern konnten, ohne dass sich eine Melodie wiederholte – Lieder für den Sonnenaufgang, für den Tanz der Monde, Lieder für das Leben und Lieder für den Tod. Manchmal versammelten sie sich in Gruppen und unterhielten sich, indem sie den Sternen neue Namen gaben oder sich Geschichten erzählten, über ferne Welten, auf denen silberne Pflanzen lebten und Samen, die zwischen den Planeten reisten und das All in einen Garten verwandelten.
    So wie sich äußerlich keine zwei Riesen glichen, waren sie auch von ihrem Wesen her so unterschiedlich wie die Menschen. Es gab Hitzköpfe, die am Strand mit der Flut rangen oder miteinander kämpften, bis sie ihre Meinungsverschiedenheiten beigelegt oder zumindest ihre Energie abgebaut hatten; Einsiedler, die nur einmal im Jahr zur Gemeinschaft zurückkehrten und sonst allein im Wald lebten, um dort über den Sinn des Daseins zu spekulieren; Forscher, die den Verlauf der Gestirne berechneten oder all ihre Zeit dafür aufbrachten, die Flora und Fauna der Insel zu beobachten; Künstler, die für ihre Artgenossen Bilder aus buntem Sand gestalteten oder abstrakte Skulpturen aus Lehm, mit denen sie versuchten, Begriffen wie »Liebe« und »Mut« Form zu geben. Doch sie alle brachten Orrm, ihrem Ältesten, den gleichen Respekt entgegen und verehrten ihn wie einen weisen Patriarchen.
    Aber auch wenn die Dorfbewohner versuchten, sich von den Menschen nicht stören zu lassen, bemerkte Kriss dennoch ihre Blicke. Die kleineren Ausgaben der grünen Riesen – die Sprösslinge , wie Orrm sie auf Feban nannte – sahen die Menschen mit neugierig schräg gelegten Köpfen an. Die Blicke der älteren waren anders. Unruhig. Feindselig.
    Die Matrosen ihrerseits beäugten die grünen Riesen mit Furcht, oder – wie in Aulins Fall – offenem Hass. Die meisten von ihnen hatten sich in kleineren Gruppen im Schatten der Häuser eingefunden und tuschelten miteinander über »diese Missgeburten« oder was sie tun würden, wenn sie wieder zu Hause wären. Ihre Notdurft verrichteten sie im Dschungel – niemals zu zweit, immer begleitet von einem Speerträger.
    Kapitän Bransker marschierte die ganze Zeit hin und her, wie ein gefangener Nebelpanter. Dabei war ihm deutlich anzusehen, wie er Pläne schmiedete. Kriss wollte ihn dabei unterstützen. Aber zuerst musste sie noch mehr über diese Insel erfahren – und über ihre Bewohner.
     
    »Mein Volk ... fürchtet sich«, erklärte Orrm, als er sie und Lian auf einem Dorfrundgang begleitete. Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont zu; die ersten Sterne kamen hervor.
    »Wir haben noch nie ... so viele Menschen auf einmal bewirtet. Und wir haben ... nicht vergessen, was andere, die vor euch ... hier gestrandet waren, den Kindern der Erde ... angetan haben. Wir leben ...

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