Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
eingelassen?«
»Du wärst überrascht, was die Leute für hundert Xenni so alles machen.«
»Aber wenn Quelmorn erfährt, dass er belogen wurde –?«
»Wird der Bibliothekar behaupten, ’n Fremder wär’ aufgetaucht und hätte ihm die Nachricht gegeben.«
»Das ist Betrug!« Kriss spürte ein unangenehmes Wühlen in ihrem Bauch. Sie war noch nie zuvor irgendwo eingebrochen! (Obwohl die Hohepriester des Tempels der Zeit das wahrscheinlich anders sehen würden.)
Lian zuckte mit den Achseln. »Es bringt uns zumindest weiter, als nur zu ’rumzureden.«
»Und hast du immer rein zufällig einen Dietrich dabei?«
»Keine Zeit!«, zischte Lian, mit Blick zur Tür. »Selbst wenn er drauf reinfällt, kommt er garantiert nochmal zurück, um seine Sachen zu holen! Ich steh Schmiere – beeil dich!« Er verließ das Zimmer.
Kriss zögerte. Ihr war ganz und gar nicht wohl. Wenn man sie hier erwischte; wenn herauskam, was sie getan hatten, würde es einen Skandal geben.
Aber sie brauchten das Buch!
Hastig umrundete sie den Tisch, ihre Haut brannte wie im Fieber. Mit flattrigen Fingern zog sie Tolmens Bestiarium zwischen den anderen Büchern hervor. Es war ein schwerer Wälzer, so breit wie ihre Hand. Die Kopie, die Veribas seinem Freund gesandt hatte, stammte von Seite 352 – verdammt, sie hatte zu weit geblättert ... da! Das war die richtige Seite – und das Blatt Papier, das sie aus ihrer Tasche zog und auseinander faltete, war die perfekte Kopie davon!
Kriss betrachtete die gegenüberliegende Seite. Sie zeigte den Kupferstich eines Urwalds. Durch sein Blätterdach konnte man ein Sternbild erkennen. Im Vordergrund blühte eine exotische Pflanzenart. Eine von Tolmens Märchenspezies? Sie sah zum Ende der Seite. Der Kupferstich war mit einer Jahreszahl signiert.
Was hatte das zu bedeuten?
Als jemand ihre Schulter berührte, fuhr Kriss zusammen. Eine Hand erstickte den Schrei, der aus ihrem Mund drang. Lian stand neben ihr. »Psst! Ich glaub’, er kommt!«
Kriss’ Gedanken hämmerten durch ihren Kopf. Sie hatte keine Zeit, die Seite abzuzeichnen!
Es war, als führte eine Fremde ihre Hände. Ehe sie sich versah, riss sie die Seite einfach aus dem Buch und steckte sie ein.
»Los!«, ermahnte Lian sie.
Sie schlug das Bestiarium zu und schob es zurück in den Bücherstapel. Dann lief sie Lian hinterher, nach draußen. Er zog die Tür so leise es ging zu und schloss sie mit dem Dietrich ab. Anschließend zog er Kriss mit sich, hinter die nächste Abbiegung. Sie rang nach Luft, versuchte, ihren Pulsschlag zu zügeln. »Großer Weltengeist!«, flüsterte sie. »Was habe ich getan?«
» Leise! «
»Es gibt auf der ganzen Welt vielleicht noch fünf Exemplare von dem Buch und ich habe es –!«
Wieder drückte Lian ihr die Hand auf den Mund. Keinen Augenblick zu früh, denn schon hörten sie Stiefelsporen klingen. Der Parandirer kehrte zurück. Kriss presste sich an die Wand; sie wagte es nicht, hinzusehen.
»Ich bitte vielmals um Verzeihung«, sagte der bestochene Bibliothekar, der den Mann begleitete. Er sprach kaum verständliches Feban.
»Eine Unverschämtheit!«, blaffte der Parandirer. Kriss hörte, wie er die Tür aufschloss. »Mich wegen eines dummen Jungenstreichs zu belästigen!«
»Ich verspreche, es kommt nicht wieder vor, Herr!«
»Sollte es besser nicht – oder es wird Euch den Kopf kosten! Ich habe einflussreiche Freunde, auch in der Republik!« Kriss zuckte zusammen, als die Tür zugeknallt wurde. Sie hörte die sich entfernenden Schritte des Bibliothekars und Lians erleichtertes Pfeifen. »Na, wer sagt’s denn? Is’ doch sauber gelaufen!«
Auch Kriss entspannte sich. Bis ihr das Buch wieder einfiel. Sie hielt die herausgerissene Seite in Händen. »Wie kann ich das jemals wieder gut machen?«
»Komm schon, es is’ doch nur ’n Buch«, sagte Lian gut gelaunt.
»Ein unbezahlbares, seltenes –!«
»Du kannst die Seite ja später wieder einkleben. Also, wir haben, was wir wollen. Besser, wir verschwinden!«
Der Verräter
»Du musst schon ’n bisschen kreativer werden«, sagte Lian. Sie gingen zügig, doch nicht – wie Kriss hoffte – auffällig schnell. Nur noch vier Stockwerke trennten sie vom Ausgang der Großen Bibliothek. »Allein mit Worten kommst du in der richtigen Welt nämlich nich’ groß weiter.«
Sie antwortete ihm nicht.
»Ich nehm’ mal an, abgesehen von eurer Buddelei in der Wüste bist du nich’ groß raus gekommen?«
»Ich habe auch nie etwas
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