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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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geblieben. Und dass auch Schuldgefühle eine machtvolle Waffe sein konnten, wenn man sie geschickt ins Spiel brachte.
    Nun brauchte sie nur noch eine Gelegenheit, das Gelernte zu erproben.
     
    BISCHOF GROSBEC war der amtsälteste kirchliche Würdenträger der Grafschaft Edessa, und er stand bei allen Kirchenmännern in hohem Ansehen – eine Tatsache, die Morfia zu nutzen wusste, als Edessas ehrgeiziger Bischof Odo eine Synode einberief, um die Machtposition der Geistlichen gegenüber den weltlichen Machthabern zu stärken.
    Alice hatte zunächst nicht verstanden, was vorging, wenn sich die Gräfin und der alternde Kleriker in der Kapelle trafen, die an die Gemächer der Gräfin angrenzte. Denn weder unterhielten sie sich noch beteten sie.
    Alice wusste, in welche Richtung ihre Mutter den Bischof beeinflussen wollte. Doch ein Tag nach dem anderen verstrich, ohne dass Grosbec von einer Entscheidung der Synode berichten konnte. So saß er wortlos mit Morfia in der Kapelle, ohne dass Alice begriff, warum ihre Mutter, die nicht besonders fromm war, so viel Zeit damit verbrachte, den Altar anzustarren, während Grosbec sie anstarrte. Immer trafen sie sich zur selben Zeit – um die dritte Stunde des Nachmittags –, und immer verbrachten sie eine Viertel- oder halbe Stunde zusammen, bis sich der Bischof erhob und Morfia den Kopf senkte, um seinen Segen zu empfangen und dann allein in ihre Gemächer zurückzukehren.
    Es war an einem Freitagnachmittag, als der Bischof plötzlich aufkeuchte und sein ganzer Körper krampfhaft erzitterte, sodass er sich auf die Rückenlehne einer Bank stützten musste. Er hatte – wie üblich – dagestanden und Morfia betrachtet, war dabei aber langsam hin- und hergeschwankt, als ließe er seine Hüften kreisen. Als er dann plötzlich erstarrte und zu ersticken schien, war Alice so erschrocken, dass sie sich fast verraten hätte. Doch sie hatte sich wieder gefangen – nicht zuletzt, weil Morfia nichts von seinem Ausbruch gehört zu haben schien, denn sie legte nicht das geringste Anzeichen von Besorgtheit an den Tag. Sie erhob sich lediglich von ihrer Kniebank und wandte sich ihm zu. Nachdem sie ihn einige Sekunden lang schweigend und mit einer Miene betrachtet hatte, die Alice noch nie gesehen hatte, hatte sie mit züchtig gesenktem Kopf den Segen des Bischofs abgewartet. Dann wandte sie sich ab und ging davon, und Grosbec sah ihr nach, erschöpft und verhärmt.
    Als sie später darüber nachgedacht hatte, was sich in diesen Minuten ereignet hatte, begriff Alice nicht nur, was geschehen war, sondern sie verstand auch die Bedeutung des Wechselspiels zwischen den beiden, das sie bis jetzt so verwundert hatte.
    Grosbec war ein Voyeur , und sie wusste, was das bedeutete. Trotz ihrer Jugend schockierte es sie nicht, dass Bischof Grosbec ein Sexualleben hatte. Die Welt war voller zügelloser Geistlicher, und niemand dachte sich etwas dabei. Das einzig Ungewöhnliche hier war, dass der Bischof ein Voyeur war und nicht selbst aktiv wurde.
    Alice kannte einen Jungen – vielleicht zwei, drei Jahre älter als sie selbst –, der anderen Menschen gern zusah, und Alice hatte ihn einmal dabei beobachtet, wie er sich währenddessen selbst befriedigte. Seine Umgebung wusste, was er war, und obwohl man ihn deshalb auslachte und beschimpfte, versuchte er nicht, sich zu ändern.
    Auch Grosbec war also so, und es war klar, dass Morfia dies wusste und dieses Wissen für ihre Zwecke benutzte.
    Drei Tage später hatten die Kirchenmänner den Entschluss gefällt, den sich Morfia gewünscht hatte, und am selben Nachmittag hatte sie sich noch einmal mit Grosbec in der Kapelle getroffen.
    Alice war selbst geradezu körperlich erregt gewesen, weil sie jetzt wusste, worauf sie achten musste. Sie sah, wie sich Grosbec mehr und mehr anspannte, während er Morfia betrachtete. Dann erhob sich Morfia und trat an den Altar, wo sie eine Reihe von Kerzen anzündete. Alice war sich sicher, dass sie damit ihre Dankbarkeit demonstrieren wollte, denn die Art, wie sich die Königin vorbeugte, um nach den Kerzen zu greifen, und sich dann reckte, um sie hoch oben auf dem Kerzenhalter zu platzieren, brachte ihren Körper und ihre Bewegungen aufreizend zur Geltung. Es war nicht zu übersehen, welche Wirkung diese Gesten auf Grosbec hatten.
    Als er sich danach wieder aufrichtete, wusste sie auf die Sekunde genau, wann sich Morfia umdrehen würde. Diesmal jedoch lächelte die Gräfin offen dabei und dankte Grosbec für alles, was er

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