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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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Flucht die Frucht seiner religiösen Überzeugungen gewesen – obwohl sie nicht leugnen konnte, dass es genauso gut eine Folge des Haschischs in den Honigplätzchen gewesen sein konnte, die sie an jenem Nachmittag gegessen hatten. Sie selbst war hinreichend an die Droge gewöhnt, aber einem Neuling wie St. Clair konnte leicht übel davon werden.
    Doch egal was es gewesen war, Alice empfand keinerlei Freude bei der Vorstellung, den Mönchsritter wiederzusehen. Und das musste sie, wenn sie hoffen wollte herauszufinden, was die Mönche in ihren heiligen Stallungen trieben. Schließlich konnte sie nicht einfach selbst dort auftauchen, nicht einmal als Prinzessin von Jerusalem, da die Tempelstallungen inzwischen offiziell als heilige Stätte galten, zu der Frauen keinen Zugang hatten – aber auch kein Mann, der nicht der Bruderschaft angehörte. Nur die Ritter des Ordens der Armen Soldatenkameraden Jesu Christi durften sie betreten.
    Eine Idee flackerte am Rand ihres Bewusstseins auf, unerwartet und unverlangt, und sie hielt inne, um darüber nachzudenken. Es war nur ein verschwommener Gedanke, doch sie wusste auf Anhieb, dass dies der Weg war und dass sie ihn bald deutlicher sehen würde. Sie ergriff ein dreifaches Messingglöckchen und klingelte. Kurz darauf erschien Ishtar, der Eunuch.
    »Prinzessin?«
    Alice sah ihn stirnrunzelnd an.
    »Hast du mir nicht gestern gesagt, dass Hassan, der Pferdehändler, zurück ist?«
    »Ja, Prinzessin. Er kam am frühen Morgen mit einer kleinen Herde auf den Markt geritten.«
    »War etwas Besonderes dabei?«
    »Aye, Mylady. Er hat zwei weiße Ponys mitgebracht, die wie Zwillinge aussehen. Sie haben einen makellosen Eindruck auf mich gemacht.«
    Alice nickte und biss sich auf die Unterlippe. Ishtar war mit Pferden groß geworden, und sie schätzte seine Meinung sehr. Pferde waren die einzigen Wesen, denen sie rückhaltlos vertraute.
    »Ruf ihn herbei, so schnell es geht. Er soll gleich zu mir kommen. Ich warte hier auf ihn.«
    Ishtar verneigte sich und eilte davon, um ihren Auftrag zu erfüllen. Alice trat ans Fenster und schlang die Arme um sich selbst, während sie in das Licht des späten Nachmittags blickte. Doch alles, was sie sah, waren die Bilder in ihrem Kopf.
    Hassan war mehr, als man auf den ersten Blick sah. Sie kannte ihn, seit er ihr an ihrem dreizehnten Geburtstag ein Geschenk ihres Vaters überbracht hatte, eine herrliche schwarze Araberstute. Seitdem hatte sie ihn jedes Mal aufgesucht, wenn er in Edessa Station machte. Und auch in Jerusalem hatte sie weiter Pferde bei ihm gekauft. Doch sie vertraute ihm längst ebenso in ganz anderen Dingen.
    Einige Monate vor dem sechzehnten Geburtstag war eine ihrer engsten Freundinnen vergewaltigt und brutal zusammengeschlagen worden. Das Mädchen, Farrah, war Moslemin, die einzige Tochter eines arabischen Händlers. Farrah war auf dem Heimweg von einer Freundin am helllichten Tage überfallen worden, doch es gab keinerlei Zeugen, und niemand schien eine Ahnung zu haben, wer die Täter sein könnten. Die einzige Spur war ein Ohrring, den Farrah mit der Faust umklammert hielt. Er war aus Gold, und es klebte Blut daran, weil sie ihn dem Angreifer abgerissen hatte.
    Alice war außer sich vor Wut gewesen, und sie hatte eine beträchtliche Belohnung für jeden Hinweis ausgesetzt, der zur Ergreifung des Vergewaltigers führte. Doch alles hatte nichts genützt – bis sie Hassan beinahe einen Monat später bei seinem nächsten Besuch in seinem Lager aufsuchte. Sie hatte mit ihm in seinem Zelt gesessen und über ein besonders schönes Pferd diskutiert, als er ihr eine kleine Schachtel reichte und den Deckel entfernte. Ein sorgsam zusammengefaltetes Stück Samt kam zum Vorschein. Alice hatte danach gegriffen, um den Stoff auseinanderzufalten, doch Hassan hatte ihr mit warnend erhobenem Finger Einhalt geboten. Er hatte die Schachtel umgekippt, sodass ihr Inhalt auf den Tisch fiel. Alice hatte mehrere Sekunden gebraucht, um zu erkennen, dass es zwei abgetrennte menschliche Ohren waren, von denen eines ein zerrissenes Ohrläppchen hatte. Das andere trug einen goldenen Ohrring, der mit dem, den man in Farrahs Faust gefunden hatte, ein Paar bildete.
    Im ersten Moment war sie entsetzt und erschrocken gewesen; die dann folgende Übelkeit hatte sie niedergekämpft, denn schon folgte ihr ein überwältigendes Hochgefühl. Vor ihr auf dem Tisch lagen ihre Rache und die Rechtfertigung für eine Suche, die jeder in ihrer Umgebung für vergeblich

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