Der Schatz des Blutes
dem Mönch gewollt hätte. Dasselbe galt für den Erzbischof. Keiner dieser beiden hatte es nötig, im Verborgenen zu agieren.
Im ersten Moment hatte sie erwägt, von Picquigny aufzusuchen, um herauszufinden, was er wusste oder vermutete, den Gedanken jedoch wieder verworfen, weil sie wusste, dass der Erzbischof keine Zeit für sie hatte und ihr sowieso nie freiwillig geholfen hätte.
Also war sie direkt an de Payens herangetreten und hatte ihm angeboten, ihm bei der Suche nach dem vermissten Mönch zu helfen.
Nachdem sie ihn ausführlich befragt hatte, begriff sie jedoch, dass er wirklich nicht die geringste Ahnung hatte, was er tun konnte, um den Vermissten zu finden. Eine Weile saß sie schweigend da und dachte nach, bevor sie dem Ordensoberen sagte, dass sie ihm vielleicht helfen konnte.
Sie hätte einen Freund unter den Moslems, sagte sie ihm, der in ganz Outremer die besten Verbindungen habe. Sie würde mit diesem Freund sprechen und ihn fragen, was er möglicherweise tun könnte. Sobald es etwas zu berichten gab, würde sie de Payens benachrichtigen.
De Payens verneigte sich tief und dankte ihr für ihr großzügiges Angebot. Sobald sich die Tür ihrer Gemächer hinter ihm geschlossen hatte, ließ Alice ihr Faktotum Ishtar kommen und trug ihm auf, Hassan den Pferdehändler zu finden und ihn zu ihr zu schicken.
Ishtar kehrte erst am späten Nachmittag zurück. Er konnte seiner Herrin lediglich berichten, dass Hassan nicht in der Stadt war und dass niemand wusste, wo er sich aufhielt. Gestern Abend war er noch in seinem Stall gewesen und hatte einen besonders erfolgreichen Tag abgeschlossen, an dem er vier kostbare Pferde verkauft hatte. Bei Anbruch der Nacht hatte er mit seinem Stallknecht gesprochen und sich wie üblich um die Fütterung seiner Pferde gekümmert. Als es Morgen wurde, war er jedoch fort gewesen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, wohin er gegangen war oder wann mit seiner Rückkehr zu rechnen war.
Ishtar hatte mit dem Stallknecht, einem Mann namens Nabib, gesprochen. Dieser hatte ihm drei mögliche Aufenthaltsorte genannt. Ishtar hatte auch dort vergeblich gesucht, und so hatte Ishtar Nabib schließlich beauftragt, seinen Herrn sofort in einer dringlichen Angelegenheit zur Prinzessin zu schicken, wenn dieser zurückkehrte.
Alice zeigte sich enttäuscht, doch keine Stunde nach Ishtars Rückkehr war auch Hassan zurück, und er folgte ihrem Ruf sofort. Sie zogen sich gemeinsam zurück, und Alice erläuterte Hassan ihre Bitte. Es wurde schon Nacht, als er aufbrach – und St. Clair war nun seit drei Tagen verschwunden.
SEKUNDEN, NACHDEM HASSAN gegangen war – die Tür, die vom Hof in die Gemächer der Prinzessin führte, war noch nicht wieder verriegelt –, glitt ein älterer Mann durch die zunehmende Dunkelheit und wurde bei der Wache der Prinzessin vorstellig. Der Hauptmann der Garde nahm Haltung an und führte den Neuankömmling ohne Umschweife in den Raum, in dem die Prinzessin ihre offiziellen Besucher empfing, denn dieser Besuch war hochoffiziell.
Der Mann war der Ritter Sir Bertrand de Perigord, ein berühmter Krieger, der bei der Einnahme Jerusalems im Jahr 1099 durch das Blut der Ungläubigen gewatet war und nun ein wichtiger Berater des Königs war. Perigord, ein humorloser Vogel, der sich nur hier befand, weil ihn der König persönlich geschickt hatte, lehnte es ab, sich zu setzen, und trommelte im Stehen ungeduldig mit den Fingern auf das schwere, abgenutzte Silberkreuz auf seiner Brust, bis die Prinzessin eintraf.
Sie blieb auf der Schwelle stehen und funkelte Perigord an, der ihren Blick nicht minder hasserfüllt erwiderte, bevor er ihr mitteilte, dass sie sich auf der Stelle bei ihrem Vater, dem König, einzufinden habe. Damit drehte er ihr den Rücken zu und ging ohne ein weiteres Wort.
Alice spuckte ihm hinterher, als sich die Tür hinter ihm schloss, doch dann verlor sie keine Zeit mehr. Sie klatschte in die Hände, um Ishtar herbeizurufen. Dieser holte ihre Leibdienerinnen herbei, die ihr halfen, sich umzuziehen und sich für das Zusammentreffen mit ihrem Vater bereit zu machen.
Während Alice ihre Zuwendungen über sich ergehen ließ, versuchte sie, sich ins Gedächtnis zu rufen, wer sich gerade bei Hofe aufhielt und hinter dieser Vorladung stecken könnte. Sie glaubte nicht, dass sie das Missfallen des Königs erregt hatte, daher war sie neugierig zu erfahren, was ihr Vater wohl von ihr wollen mochte. Er bestellte sie nur selten unter vier Augen zu sich,
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