Der Schatz von Njinjo (German Edition)
hatte er sich gerade erst einen Packen kommen lassen. „Was genau wüssten sie denn gern?“
„Konkret geht's mir um den Kriegsverlauf im Juli und August und um deutsche Siedler bei Kilwa.“
Jetzt wird Roh unruhig. Im Bezirk Kilwa, das hatte er eben erst gelesen, lebten 1913 gerade mal 49 Europäer, „beschützt“ von zwei Hand voll Offizieren der Kolonialtruppen. Es gab ganze sieben „Ansiedler“, die auf ihren Pflanzungen Baumwolle, Kautschuk, Kokospalmen, Kapok, auch erste Sisal-Agaven anbauten. „Was genau wollen Sie denn wissen?“
„Och, vor allem: wo die englischen Truppen die Deutschen vertrieben haben, und dann auch: Wann!“ Das Einzige aus dieser Zeit, was ein Generaldirektor des tanzanischen Nationalarchivs über die Gegend fraglos wissen muss , ist die Episode, wie die Briten 1916 das deutsche Schlachtschiff „Königsberg“ versenkten. Das hat man uns in der Schule mindestens dreimal erzählt. Bevor das Kriegsschiff im Delta des Rufiji aufgespürt wurde, hatten die Engländer das Schiff ein Jahr lang vergeblich gejagt und gesucht. Gefunden hatten sie den Kreuzer nur, weil ein verwegener südafrikanischer Buschpilot Luftaufklärung betrieb, bevor er dann mit seinem antiken Doppeldecker eine Bruchlandung auf dem Meer hinlegte. Gleich, ob Direktor Roh sich gerade jetzt daran erinnert: Er setzt mir nun ein wenig zu.
„Wie war noch mal ihr Name? Wer, sagten sie, sind Sie gleich?“
„Hannes Wabaye, Geschäftsmann aus Moshi. Ist das wichtig? Ich beschäftige mich ein wenig mit unserer Geschichte. Seit ich kürzlich jemanden traf, der mir von der Flucht seiner Großeltern vor englischen oder vielleicht auch deutschen Soldaten im Süden erzählte, beginne ich, ein wenig rumzuforschen. Haben die Kolonialtruppen sich damals etwa nicht nur gegenseitig umgebracht, sondern auch unsere Leute vor sich her getrieben?“ Im augenblicklichen Erfinden von Geschichten bin ich groß, was den Archivchef jedoch nur noch nervöser macht. Jetzt will er mich anscheinend nur noch schnell los werden.
„Das ist ja spannend. Hobbyhistorikern helfen wir gern. Warten sie einen Moment, ich werde ihnen die Akten holen lassen. Zum Glück sind die englischen District Books vor ein paar Jahren, die deutschen gerade erst geordnet worden. Saß irgendein ein hellhäutiger Doktorand dran, der hat auch alte Grundbücher und Landregister ausgegraben. Für sowas schicken uns die alten Kolonialherren über ihre Entwicklungsministerien, wie sie sicher wissen, immer mal wieder hochbezahlte Hilfskräfte, die zu Hause niemand braucht. Wenn Sie solange draußen warten wollen?“ Damit scheint für Roh das Gespräch beendet.
Wenig später sitze ich zwischen drei hochgebildet aussehenden Studenten in einem Lesesaal mit bündelweise Papier um mich herum. Ich hatte erwartet, dass alles fürchterlich staubt und durcheinander ist, aber die Akten sind frisch poliert und wohl geordnet. Mit den meisten kann ich überhaupt nichts anfangen: Entweder sind sie in deutsch verfasst oder es handelt sich um ausschweifende Kriegsberichte. Der britische Hauptmann Frederick Courtney Selous bejubelt gegenüber dem wochenweit entfernten Generalstab in London seine Erfolge gegen den deutschen Truppenchef, einen Paul von Lettow-Vorbeck, bei Tanga im Norden. Wenig später ist von Bagamoyo die Rede, dann vom Hochland, auf dem Selous den Deutschen und dessen askaris – einheimische Hilfstruppen – vor sich her treibe. In einem Tagesbefehl von Ende Juli steht erstmals was vom „gewaltigen Rufiji-Fluss“, der das Festland in zwei Teile teilt.
Einmal mehr sind meine Kenntnisse aus dem Schulunterricht gefordert. Zum Glück hat mich Kaishe dort Jahre lang jeden Morgen hingejagt. Die Mündung des Rufiji liegt über hundert Kilometer nördlich von Kilwa, in dessen Nähe Schuttes Urgroßeltern siedelten. Dazwischen gibt es nur noch einen größeren Fluss, den Matandu. Wenig später lese ich auch diesen Namen, diesmal auf einer dem Tagesbericht vom ersten August beigehefteten Karte, die den Vormarsch des britischen Hauptmanns Richtung Süden illustriert. Da befand sich Selous demnach mit seinen Truppen auf einem Plateau rund zwanzig Meilen nordwestlich des „Mata-Nudu“, wie er den Fluss nennt, nahe einer Ortschaft, die auf der Karte den Namen „Ndschindscho“ trägt. Eine Distrikthauptstadt dort, Njinjo, sechzig Kilometer nordwestlich von Kilwa, heißt bis heute ähnlich. Das wird kein Zufall sein. Dem letzten Bericht, den ich aus der Zeit vor dem
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