Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)
Herr Kommerzienrat.«
»Was Sie nicht sagen.« Der Reeder hatte zu seiner ursprünglichen Arroganz zurückgefunden. »Ich fürchte, dass diese Spur im Sand verläuft, Herr Offiziant. Es wäre gewiss hilfreicher, wenn Sie sich anderen Hinweisen zuwenden würden.«
»Kann ich Ihren Sohn nun sprechen oder nicht?«, beharrte Boysen.
»Das wird nicht möglich sein, wie ich schon sagte.«
»Dann sollte ich vielleicht Ihr Haus durchsuchen lassen. Es gäbe auch die Möglichkeit, Ihren Sohn auf die Wache vorzuladen.«
Diese Ankündigung löste bei Lütke erneut Heiterkeit aus. »Es ist erstaunlich, wie sehr sich ein Offiziant des Constabler Corps überschätzen kann. – Sie verschwenden hier nur Ihre Zeit.«
Boysen kochte innerlich. Hätte er es mit dem üblichen Hafengesindel zu tun gehabt, wäre er schon längst handgreiflich geworden. Das war die einzige Sprache, die der Zuhälter Gustav und seinesgleichen verstanden, und bisher war Boysen mit dieser Methode immer gut durchgekommen. Aber er wusste genau, dass er einen Mann wie Theodor Lütke noch nicht einmal mit dem kleinen Finger berühren durfte.
Vor dem Gesetz sind eben doch nicht alle gleich , dachte der Offiziant übellaunig. Wenn er bei Lütke Ergebnisse erzielen wollte, musste er sich etwas anderes einfallen lassen.
»Sie wollen mir also über den Verbleib Ihres Sohnes keine Auskunft erteilen, Herr Kommerzienrat? Das ist Ihr letztes Wort?«
»Mein Sohn ist in keinerlei kriminelle Aktivitäten verwickelt, Herr Offiziant. Diese Auskunft muss Ihnen genügen.«
Boysen nickte. Er war mitten im Privatkontor des Reeders stehengeblieben. Nun wandte er sich ab und ging zur Tür. Dort verharrte der Offiziant und drehte sich noch einmal um.
»Es gibt einen Grund, warum ich mit einer schmutzigen Uniform zu Ihnen gekommen bin.«
Theodor Lütke schaute Boysen fragend an.
»Ich habe vorhin einen Mann getötet, Herr Kommerzienrat. Sein Blut hat meine Montur besudelt. Und ich würde es wieder tun, um einen Mörder zu stoppen.«
Der Reeder erhob sich aus seinem Sessel. »Wenn Sie mir drohen wollen ...«
Boysen ließ Theodor Lütke nicht ausreden. Er ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
Auf dem Rückweg zur Brooktor-Wache hatte der Udel viel Zeit zum Nachdenken. Es kam ihm höchst verdächtig vor, dass Theodor Lütke seinen Sprössling so von der Polizei abschirmen wollte. Wenn der kleine Schieter nichts zu verbergen hatte, warum dann diese Verweigerungshaltung seines Vaters? Oder ging es dem einflussreichen Patrizier nur darum, sich an Boysens Machtlosigkeit zu erfreuen?
Der Offiziant war der festen Meinung, dass die hohen Herren immer einen armen Tropf benötigten, den sie in den Staub treten konnten. Nur wenn dies geschah, wurde ihnen ihre eigene Großartigkeit erst so richtig bewusst. Aber Boysen hatte keine Lust, in dieser Schmierenkomödie den Hanswurst zu mimen.
Er beschloss, jeden verfügbaren Constabler der Brooktor-Wache zu mobilisieren. Wenn Gefahr im Verzug war, dann durfte er ein Privathaus auch ohne richterliche Anordnung durchsuchen. Boysen hoffte nur, dass seine Leute nicht immer noch mit dem Verteilen der Cholera-Flugblätter beschäftigt waren.
Inzwischen stand die Sonne beinahe im Zenit, und es wurde immer heißer. Boysen schwitzte in seinem Waffenrock. Oder war es das Jagdfieber, durch das sein Blut in Wallung gebracht wurde? Der Offiziant hoffte, auf der richtigen Spur zu sein. Theodor Lütke hatte mit seinem selbstherrlichen Verhalten nur erreicht, dass sich Boysens Verdacht gegen den Sohn des Reeders verstärkte.
Boysen betrat die Brooktor-Wache um wenige Minuten nach ein Uhr mittags. Doch noch bevor er den Mund öffnen konnte, um einen Befehl zu geben, hielt er inne. Im Wachtlokal befand sich nämlich ein seltener Gast.
Inspector Lanke stand an einem Schreibpult und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Holz. Sein Gesicht war weiß vor Wut. Er durchbohrte den Offizianten förmlich mit seinen Blicken und blaffte: »Sind Sie jetzt endgültig von allen guten Geistern verlassen, Boysen? Was fällt Ihnen ein, die Familie Lütke zu belästigen?«
Boysen war so verblüfft, dass er vergaß, vorschriftsmäßig zu salutieren. Aber die Laune seines Vorgesetzten würde er auch durch das zackigste und untadeligste Auftreten nicht mehr verbessern können, nicht in diesem Moment.
»Es gibt hinreichende Verdachtsmomente gegen Carl Lütke«, begann Boysen, doch Lanke schnitt ihm das Wort ab.
»Und was für Verdachtsmomente sollen
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