Der Scheich
jetzt nicht aufhalten. Zufrieden grub sie ihre Fersen ins weiche Erdreich. In der Wildnis gab es nichts, was ihre Lebenslust und den Genuß des Abenteuers beeinträchtigen würde. Während ihrer Erinnerungen hatte sie den Kopf gesenkt und die staubigen Stiefelspitzen angestarrt. Nun richtete sie sich entzückt auf. Dies war der schönste Tag ihres Lebens. Den Streit mit Aubrey hatte sie längst vergessen, ebenso die Gedanken, die der Anblick der Karawane heraufbeschworen hatte. Kein einziger Mißklang störte die vollkommene Harmonie ihres Geistes und ihrer Seele.
Als ein Schatten neben ihr auftauchte, wandte sie sich zu Mustafa Ali um. «Mademoiselle, jetzt sollten wir weiterreiten», erklärte er und verneigte sich unterwürfig.
Erstaunt spähte sie über ihre Schulter und sah die Männer auf den Pferden sitzen. Das Lächeln in Dianas Augen erlosch. Gewiß, Mustafa Ali war der Führer, aber sie leitete die Expedition. Wenn er das noch nicht erkannt hatte, mußte sie ihn belehren. Sie schaute auf ihre Uhr. «Oh, wir haben noch genug Zeit», erwiderte sie kühl.
«Aber der Weg zu der Oase, wo wir übernachten werden, ist weit», beharrte er und verbeugte sich wieder.
Diana legte einen braunen Stiefel über den anderen, hob eine Handvoll Sand hoch und ließ ihn langsam zwischen den Fingern hindurchrieseln. «Dann werden wir eben schneller reiten», bemerkte sie ungerührt und betrachtete die feinen Körnchen, die in der Sonne glitzerten.
Nun verbarg er seine Ungeduld nicht länger. «Glauben Sie mir, Mademoiselle, es wäre besser, sofort aufzubrechen.»
Empört starrte sie ihn an. Trotz seiner Höflichkeit und schlichten Ausdrucksweise nahm seine Stimme einen autoritären Klang an. Sie blieb sitzen, ihre Fingerspitzen strichen durch den warmen Sand, und der Führer konnte ihrem hochmütigen Blick nicht standhalten. «Sobald ich es wünsche, reiten wir weiter, Mustafa Ali. Nicht früher und nicht später. Ihren Männern können Sie Anweisungen erteilen. Aber Sie nehmen Ihre Befehle von mir entgegen. Wenn ich bereit bin, die Reise fortzusetzen, werde ich Sie informieren. Gehen Sie jetzt.»
Immer noch zögernd, trat er von einem Fuß auf den anderen.
Diana schnippte mit den Fingern. Diesen Trick hatte sie in Biskra einem französischen Offizier abgeschaut. «Gehen Sie!» wiederholte sie brüsk, schaute ihm nicht nach und kümmerte sich auch nicht darum, welche Anordnungen er den Leuten gab.
Dann warf sie noch einen Blick auf ihre Uhr. Vielleicht war es tatsächlich spät geworden, und der Ritt zum nächsten Camp würde länger dauern, als sie vermutet hatte. Aber Mustafa Ali mußte seine Lektion lernen, und wenn sie die Oase erst um Mitternacht erreichten. Energisch reckte sie das Kinn, und plötzlich lächelte sie. Nun hoffte sie sogar, die Nacht würde vor der Ankunft im Lager hereinbrechen. Während ihres Aufenthalts in Biskra hatte sie zweimal an Mondscheinpicknicks teilgenommen, und der Zauber der Wüstennächte hatte sie fasziniert. Und dieser Ritt ins Unbekannte, fern von dem Lärm und dem Geschwätz der Touristen, die das Schweigen der Finsternis gestört hatten, wäre ein besonderes Erlebnis gewesen. Aber sosehr sie es auch bedauerte, sie verwarf den reizvollen Gedanken. Dazu wurde sie von praktischen Überlegungen gezwungen. Sie wollte zwar noch eine knappe Stunde abwarten, um Mustafa Ali ihre Vormachtstellung klarzumachen. Aber dann mußten sie sich beeilen, um noch bei Tageslicht im Camp einzutreffen.
Die Männer und sie mußten sich erst aneinander gewöhnen. An diesem Abend würde ihr kein hilfreicher Stephens zur Seite stehen, weshalb sie selbst die nötigen Anweisungen würde erteilen müssen, damit alles nach Wunsch verlief. Und das würde ihr leichter fallen, solange es noch hell war.
Aber auf eine Stunde mehr oder weniger kam es sicher nicht an. An diesem Vormittag hatten die Pferde ihre Kräfte wohl kaum verbraucht. Also durfte man sie unbesorgt anspornen. Immer wieder schaute sie belustigt auf ihre Uhr und widerstand der Versuchung, Mustafa Alis Reaktion zu beobachten. Vermutlich würde er ihr Verhalten mißdeuten.
Als die Frist verstrichen war, die sie sich gesetzt hatte, stand sie auf und schlenderte zu den Arabern hinüber, ohne auf die mürrische Miene des Führers zu achten. Nach dem Aufbruch winkte sie ihn zu sich und erwähnte Biskra, was einen neuerlichen Wortschwall auslöste. Von dieser Stadt mochte Diana zwar nichts mehr wissen, aber Mustafa Ali begeisterte sich für das Thema, und sie
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