Der Scheich
zurück. Jetzt war der Araber dicht hinter ihr - näher, als sie vermutet hatte. Sie sah eine große weiße Gestalt, durchdringende schwarze Augen und schimmernde Zähne. In heller Wut zog sie ihren Revolver, ohne daran zu denken, daß sie womöglich damit eine Stammesfehde vom Zaun brach. Nur ein einziger Wunsch beherrschte sie - den abscheulichen Mann loszuwerden. Zweimal feuerte sie ihrem Verfolger mitten ins Gesicht, aber er zuckte nicht einmal zusammen. Statt dessen hörte sie ein leises Gelächter.
Als sie dieses Geräusch vernahm, wurde ihr der Mund trocken, und ein kalter Schauer rann über ihren Rücken. Ein sonderbares Grauen durchfuhr sie, das sie nie zuvor verspürt hatte. Schon wieder hatte sie danebengeschossen, so wie am Morgen. Das konnte sie sich nicht erklären. Allerdings gab es nichts daran zu rütteln, und sie fühlte sich ihrem Gegner hilflos ausgeliefert. Sie ließ die unbrauchbare Waffe fallen, versuchte vergeblich, ihr Pferd anzutreiben.
Doch der feurige Fuchs des Arabers rückte unerbittlich näher. Obwohl sie nicht mehr wagte, sich umzudrehen, sah sie aus den Augenwinkeln neben sich den kleinen, bösartig wirkenden Kopf des Hengstes, die flach angelegten Ohren, die wilden, blutunterlaufenen Augen. Einen Moment rasten sie so Seite an Seite dahin. Dann preschte der Rotfuchs vorwärts, und der Reiter richtete sich in den Steigbügeln auf. Er neigte sich herüber, umschlang Diana mit starken Armen, riß sie aus dem Sattel und zog sie zu sich aufs Pferd. Von dem blitzschnellen Manöver überrumpelt, konnte sie sich nicht wehren. Zuerst war sie wie betäubt, doch als ihre Geistesgegenwart zurückkehrte, bekämpfte sie den Gegner in wilder Verzweiflung. Die weißen Falten des arabischen Gewandes, das ihr ins Gesicht gepreßt wurde, drohten sie zu ersticken. Widerstand war zwecklos. Ein harter, muskulöser Arm hielt sie unerbittlich und schmerzhaft fest, und sie fürchtete schon, er würde ihr den Brustkorb eindrücken. Ihr Feind umklammerte sie so fest, daß sie kaum Luft bekam. Für ein Mädchen war sie ungewöhnlich stark - aber gegen diese stählerne Kraft konnte sie nichts ausrichten. Ihre Unterlegenheit und der Schmerz, den ihre Gegenwehr hervorrief, zwangen sie, reglos zu verharren. Nach einiger Zeit spürte sie, wie der Araber sein Pferd zügelte und herumwarf. Dann ging es in wilder Jagd weiter.
Diana war völlig durcheinander, und sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Der Zwischenfall erschien ihr so ungeheuerlich, daß es jeder Logik widersprach. Sie verspürte nur einen blinden, leidenschaftlichen Zorn gegen den Mann, der es wagte, sie zu berühren. Und dabei war er nur ein Eingeborener!
Ekel und Wut nahmen ihr fast den Atem. Außerdem verletzte die peinliche Lage ihren Stolz zutiefst. Trotz ihrer erprobten Reitkünste war sie eingeholt und wie eine Puppe aus dem Sattel gezerrt worden. Nun mußte sie die Nähe dieses widerwärtigen Männerkörpers und seine kraftvollen Arme ertragen. Noch nie hatte jemand die Frechheit besessen, sie anzufassen, geschweige denn, sie wie einen Gegenstand zu behandeln. Wie sollte das alles enden? Wohin wurde sie gebracht? Das Gesicht im weißen Burnus vergraben, hatte sie jeglichen Orientierungssinn verloren und keine Ahnung, in welche Richtung sie ritten. Blitzschnell sprengte das Pferd dahin und bäumte sich gelegentlich auf, was ein lebhaftes Temperament oder empfindliche Nerven verriet. Allerdings schien das Verhalten des Pferdes den Reiter nicht im mindesten zu stören. Lässig saß er im Sattel, und nicht einmal die wildesten Sprünge lockerten den Griff des Arms, der Diana umfing.
Aber da sie sich nicht rührte, lockerte sich sein fester Griff allmählich. Sie konnte den Kopf ein wenig zur Seite drehen, um ihre schmerzenden Lungen endlich mit Luft zu füllen. Die Landschaft, die an ihr vorbeizog, konnte sie jedoch nicht erkennen. Keuchend rang sie nach Atem. Obwohl sie kaum etwas sah, wußte sie, daß die Nacht hereingebrochen war. Vor kurzem hatte sie noch gehofft, es würde dunkel werden, ehe sie ihr Ziel erreicht hatte. Nun aber erschien ihr die Finsternis furchterregend.
Die frische Atemluft gab ihr neue Kraft, und sie stemmte sich verbissen gegen den Arm, der sie nur mehr lose umschlang. Als ihre gesporten Fersen die Flanken des Fuchses zerkratzten, bäumte er sich wiehernd und zitternd auf. Aber der Araber hielt Diana sofort wieder fester und bändigte das verschreckte Pferd mit einem leichten Druck seiner Knie.
«Doucement, doucement.»
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