Der Scheich
Gefahrenzone. Seine Schmerzensschreie veranlaßten die Zuschauer zu lautem Gelächter. Offenbar hatten sich fast alle Bewohner des Lagers versammelt, um die üblichen abendlichen Possen des Fuchses zu beobachten. Der französische Diener kam hinter dem Zelt hervor, beschwichtigte den Mann, der sich mühsam aufrappelte, und griff nach dem Pferdekopf. Lächelnd wandte er sich Diana zu. «Madame, er wird mit Recht Shaitan genannt, denn er ist eindeutig vom Teufel besessen.»
Mit einem gewaltigen Satz riß sich der Fuchs von den Händen los, die ihn festzuhalten suchten, und sprengte, gefolgt von mehreren Arabern, zum Rand der Oase.
«Sicher werden ihn die Reiter einfangen», bemerkte der Diener belustigt, da Diana vor Schreck aufgeschrien hatte.
«Will er nur spielen, oder ist er wirklich so bösartig?»
«Oh, er strotzt vor lauter Bosheit, Madame. Schon drei Männer hat er getötet.»
Ungläubig starrte sie ihn an, denn er sprach in beiläufigem Ton und zeigte nicht das geringste Mitleid.
«Dann sollte man ihn erschießen», meinte Diana entrüstet.
Gleichmütig zuckte er die Achseln. «Monseigneur mag ihn.»
Und weil Monseigneur die Bestie schätzte, wurde sie sorgsam umhegt, damit das Vergnügen ihres Herrn nur ja nicht beeinträchtigt wurde. Offenkundig bedeutete ihm das Leben seines armseligen Volkes weniger als sein Lieblingspferd. Das paßte zu der Grausamkeit, die Diana am eigenen Leib erfahren hatte. Was sie am Vortag nicht für möglich gehalten hätte, erschien ihr jetzt durchaus glaubhaft. Sofort schwand der Mut, den sie während seiner Abwesenheit gefaßt hatte, so schnell, wie der rote Sonnenball am Horizont versank. Um sich von ihrer Angst abzulenken, beobachtete sie die Pferde, die zur anderen Seite des Lagers geführt wurden. «Was für wundervolle Tiere! So große Araber habe ich noch nie gesehen.»
«Eine besondere Zucht, Madame», erwiderte der Franzose. «Dafür ist dieser Stamm seit Generationen berühmt. In allen Berberländern kennt man Monseigneurs Pferde, sogar in Frankreich», fügte er stolz hinzu.
Nachdenklich schaute sie ihn an. Wann immer er seinen Herrn erwähnte, verriet seine Stimme eine treue Ergebenheit, die ihr unfaßbar erschien. Wie konnte der Schurke, der sie so brutal behandelt hatte, solche Gefühle wecken? Abrupt wurden ihre Gedanken unterbrochen.
«Da kommt Monseigneur!» verkündete der Diener und lächelte, als müßte sich auch Diana darüber freuen. Bildete er sich tatsächlich ein, sie wäre freiwillig hier? Oder gehörte sein Verhalten zu der Heuchelei, die jeder in diesem Lager ihr gegenüber an den Tag legte? Sie warf einen Blick auf die Reiter, die zwischen den Palmen hervorsprengten, und kalter Schweiß brach ihr aus allen Poren.
Hastig trat sie in den kühlen Schatten der Markise. Aber sie blieb beim Eingang des Zeltes stehen. Nicht einmal ihre Angst würde sie dazu bringen, noch weiter zurückzuweichen. Hier wollte sie ihn erwarten - nicht wie ein zitterndes gefangenes Tier, das sich im hintersten Winkel seines Käfigs verkroch. Das war sie ihrem Stolz schuldig.
Sie beobachtete die Truppe, die auf dem Platz vor dem Zelt anhielt. Diesmal ritt der Scheich einen Rappen, und ihr verächtlicher Blick wanderte vom seidigen Fell des schönen Tieres zur weißen Robe seines Herrn. «Schwarz und weiß! Schwarz und weiß! So ein Angeber!» stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dann waren alle Gedanken auf einmal wie weggeblasen, und sie sah ihm voller Angst beim Absteigen zu. Atemlos stand sie da, und ihr Herz pochte so heftig, daß es schmerzte.
Er ließ sich Zeit, streichelte den großen Rappen, und während das Tier weggeführt wurde, blickte er ihm nach und unterhielt sich mit einem hochgewachsenen Araber, der ihn begleitet hatte. Endlich drehte er sich um und schlenderte lässig zum Zelt. Am Eingang blieb er erneut stehen, um mit dem Franzosen zu sprechen. Der Scheich war eine malerische, wilde Erscheinung in fließenden Roben und weitem weißen Umhang. Sein markantes Profil zeichnete sich scharf vor dem Abendhimmel ab. Der hocherhobene Kopf betonte seine arrogante, gebieterische Haltung. Mit lebhaften ausdrucksvollen Gesten untermalte er seine Worte. Aber die Stimme klang sanft und leise, sogar melodisch, obwohl sie unverkennbare Autorität bezeugte. Er streckte eine Hand aus und zeigte auf etwas, das sich außerhalb von Dianas Blickfeld befand.
Als er das Zelt betrat, lachte er, und sie erschauerte unwillkürlich. Die Augen gesenkt, trat sie zurück.
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