Der Scheich
zur Gewißheit wurde. Die Hände ineinander verkrampft, betrachtete sie blicklos den prächtigen Sonnenuntergang. Sie fühlte sich wie eine Fliehende, die in eine ausweglose Sackgasse geraten war. Es gab kein Entkommen. Zitternd rang sie die Hände. Dann durchdrang ein schwacher Hoffnungsschimmer ihre Verzweiflung. «Vielleicht hat Mustafa Ali schon die Behörden in Biskra alarmiert. Oder einer seiner Männer ... Falls Sie nicht alle ermordet haben.»
«Nein, ich habe sie nicht alle ermordet. Aber Mustafa Ali wird wohl kaum Alarm schlagen.»
«Warum nicht?» Während sie gespannt auf die Antwort wartete, erinnerte sie sich an diverse Geschichten über die ungeheure Grausamkeit gewisser Araber. Welches Schicksal hatte der unglückliche Karawanenführer erlitten? Sie senkte die Lider, und ihr Mund wurde trocken.
«Nun, es war nicht nötig, irgend jemanden zu töten», erklärte er sarkastisch. «Wenn du mich erst einmal besser kennst, wirst du feststellen, daß ich nichts dem Zufall überlasse. ‹Alle Dinge liegen in Allahs Hand, gepriesen sei Sein Name.› Das ist schön und gut. Aber eins sollte man bedenken. Allah befaßt sich nicht unentwegt mit den Plänen der Menschen, um ihnen alle Mühe abzunehmen. Hätte ich ihm mein Vorhaben anvertraut, wären einige Leute ermordet worden, so wie du es vermutest. Allerdings sprechen wir in dieser Gegend nicht von einem Mord, wenn wir jemanden töten. Es war ganz einfach - du hast Mustafa Ali bezahlt, damit er dich in die Wüste führt, und ich gab ihm noch mehr Geld, mit dem Auftrag, dich zu mir zu bringen. Außerdem wies ich ihn an, Biskra zu meiden. Dort könnte man unangenehme Fragen stellen. Und deshalb wird er einen Ort aufsuchen, wo ihn niemand kennt, und neuen Ruhm als Karawanenführer erwerben.»
Nach diesen Worten entstand ein längeres Schweigen. Diana griff sich an die Kehle. Also hatte der Araberscheich keine Zufallsbegegnung ausgenutzt. Nein, alles war von Anfang an sorgfältig geplant gewesen. Und sie hatte nichts geahnt. Wütend knirschte sie mit den Zähnen. Ihr liebenswürdiger, treuer Führer hatte sie nicht in die vorgesehene Richtung geleitet, sondern zu dem Mann, der ihn für diesen Vertrauensbruch bezahlte. Mustafa Alis unsteter Blick, sein Bestreben, das Mittagscamp möglichst bald zu verlassen, sein seltsamer Tonfall... Das alles ergab jetzt einen Sinn.
Oh, ja, er hatte ihr ein großartiges Theater vorgespielt. Und die letzte Szene - als er langsam aus dem Sattel glitt, von einer nicht vorhandenen Wunde niedergestreckt - war eine Meisterleistung, dachte sie erbittert.
Nichts hatte man versäumt, um die Aktion erfolgreich zu beenden. Zweifellos gehörte das Pferd, auf dem sie geritten war, dem Scheich. Sogar ihr Revolver war präpariert worden. Also hatte sie gar nicht danebengeschossen! Sie erinnerte sich an die nächtlichen Geräusche und die dunkle Gestalt im Hotel. Offenbar hatte sich jemand in ihr Zimmer geschlichen - Mustafa Ali selbst oder einer seiner Männer - und die scharfe Munition mit Platzpatronen vertauscht. Sogar die Möglichkeit, Aubrey könnte sich anders besinnen und seine Schwester mit seiner eigenen Eskorte begleiten, war erwogen worden, denn der Scheich hatte viele Männer mitgebracht, für den Fall, daß es zu einem Kampf kam.
Das unsichtbare Netz, in dem sie sich schon seit dem Nachmittag gefangen fühlte, schien sich noch enger zusammenzuziehen und drohte sie zu ersticken. Ihr war, als sei die Sonne ins Schwanken geraten. Mühsam rang sie nach Fassung. «Warum haben Sie das getan?» fragte sie mit schwacher Stimme.
Einen Moment lang glaubte sie, ihr Herz würde stillstehen, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er war näher gekommen, stand dicht hinter ihr, und sie wartete starr vor Schreck ab, bis er sie herumdrehte, in die Arme nahm und ihren Kopf in den Nacken zwang. «Weil ich dich besitzen wollte. Vor vier Wochen sah ich dich in Biskra, nur ganz kurz, doch es genügte mir, um dich zu begehren. Und was ich haben möchte, nehme ich mir. Erfreulicherweise hast du mir in die Hände gespielt und diese Wüstenreise geplant. Alles Weitere war ganz einfach.»
Sie hielt die Augen geschlossen, und ihre langen dunklen Wimpern zitterten auf den bleichen Wangen. Sie fühlte, wie er sie an sich drückte. Voller Leidenschaft küßte er ihre Lippen. Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie war ihm hilflos ausgeliefert. Während sein Mund ihr Haar und ihre Lider streifte, lachte er leise. Ganz still stand er da, aber sie spürte
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