Der Scheich
ihre eisigen Finger ergriffen das Buch, das zu Boden geglitten war. Die dicken Teppiche verschluckten das Geräusch seiner Schritte. Aber sie wußte, auch ohne hinzusehen, daß er eintrat und zum Diwan ging. Sie spürte seinen Blick. Schaudernd wartete sie darauf, daß er etwas sagte oder tat. Wie viele Methoden er hat, um mich zu quälen, dachte sie verbittert. Hinter dem Zelt erklangen Tamtamklänge, und der ungleichmäßige Rhythmus pochte in Dianas Schädel. Beinahe hätte sie vor Schmerzen geschrien.
«Komm her - Diane.»
Erschrocken zuckte sie zusammen. Im ersten Augenblick hatte sie ihren eigenen Namen nicht erkannt, weil er ihn französisch aussprach. Dann errötete sie ärgerlich und blieb schweigend sitzen. Nach allem, was er ihr angetan hatte, war es nur eine Kleinigkeit. Aber ihren Namen aus seinem Mund zu hören ... Diese Schmach entfachte den heißen Zorn, den die Angst schon fast besiegt hatte. Und der besitzergreifende Unterton weckte ihren Trotz. Nein, sie würde seinem Ruf nicht folgen. Was er wollte, mußte er sich nehmen. Freiwillig würde sie ihm gar nichts geben. Die Hände im Schoß zusammengepreßt, saß sie da und rang furchtsam nach Atem.
«Komm her!» wiederholte er mit scharfer Stimme.
Auch die zweite Aufforderung blieb unbeantwortet, und doch, aus Dianas Gesicht, das er nicht sehen konnte, wich alle Farbe.
«Ich bin es nicht gewöhnt, daß man meine Befehle mißachtet», sagte er langsam.
«Und ich bin es nicht gewöhnt, mir Befehle erteilen zu lassen», stieß sie erbost hervor, obwohl ihre Lippen bebten.
«Dann wirst du es lernen.» Sein drohender Tonfall raubte ihr beinahe den letzten Mut.
Keuchend kauerte sie auf dem Boden. Wieder wurde sie von dem Entsetzen übermannt, das sie schon am vergangenen Abend verspürt hatte. Wie gelähmt wartete sie ab und lauschte. Sie stand Höllenqualen aus, und die Tamtams wurden immer lauter - oder war es das Pochen in ihren Schläfen? Mit einem erstickten Schrei sprang sie auf und floh, bis sie nicht mehr weiterkonnte. Sie warf sich gegen die schwarzsilbernen Vorhänge und klammerte sich daran fest. Auf einmal stand er hinter ihr.
Er beugte sich vor, löste ihre kraftlosen Finger aus dem schweren Stoff und zog ihre Hände an seine Brust. «Komm!» flüsterte er, und seine leidenschaftlichen Augen schienen sie zu verschlingen.
Verzweifelt kämpfte sie gegen die Faszination seines Blicks, aber er nahm sie unerbittlich in die Arme.
«Kleine Närrin!» schalt er, und sein Lächeln wurde breiter. «Besser ich als meine Männer.»
Der grausame Spott riß sie aus ihrer Erstarrung. «Oh, Sie - Sie Ungeheuer! Sie Ungeheuer!» schluchzte sie, bis seine Küsse sie zum Schweigen brachten.
Viertes Kapitel
Ein Monat! Einunddreißig Tage! Oh, Gott! Nur einunddreißig Tage. Und es kommt mir wie ein ganzes Leben vor. Erst vor einem Monat habe ich Biskra verlassen. Ein Monat! Ein Monat!
Bebend warf sich Diana auf den Diwan und vergrub das Gesicht in den Kissen, um dem Anblick des heidnischen Luxus zu entfliehen. Doch sie weinte nicht. Der Zusammenbruch in der ersten Nacht hatte sich nicht wiederholt. Manchmal stiegen ihr Tränen der Scham und des Zorns in die Augen, wurden aber nicht vergossen. Ihr Peiniger durfte nicht wissen, daß er sie zum Weinen bringen konnte. Diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht. Ihr Stolz ließ sich nicht so leicht brechen. Sie dachte an die vielen Tage und Nächte des qualvollen Widerstandes. Verbissene Machtkämpfe und erzwungener Gehorsam hatten den ganzen gräßlichen Monat geprägt. In wachsender Verbitterung fragte sie sich, wie lange sie noch den Mut aufbringen würde, sich zu sträuben. Zum erstenmal in ihrem Leben mußte sie sich fügen, zum erstenmal in ihrem Leben zählten ihre Wünsche nicht.
Und zum erstenmal wurde ihr die Unterlegenheit ihres Geschlechts deutlich vor Augen geführt. Und diese Erfahrung hatte die jahrelange Erziehung zunichte gemacht. Hier galt der Status nicht, den sie bei ihrem Bruder und seinen Freunden genossen hatte. Unentwegt ließ man sie spüren, daß sie eine Frau war. Alle Unsäglichkeiten mußte sie hinnehmen, die sich mit ihrer Weiblichkeit verbanden, alles ertragen, was Ahmed Ben Hassan ihr aufnötigte. Wie ein Stück Vieh, wie eine Sklavin erduldete sie seine Gelüste und seinen Tadel. Daß ihre Überzeugungen auf einmal nichts mehr wert waren und daß ihrem kalten, leidenschaftslosen Temperament rohe Gewalt angetan wurde, erschütterte sie bis ins Mark. Ihr Stolz wurde mit Füßen getreten. Der
Weitere Kostenlose Bücher