Der Scheich
Was der Mann verbrochen hatte, wußte sie nicht. Aber die Strafe erschien ihr in jedem Fall unverhältnismäßig. Entsetzt und fasziniert zugleich, schaute sie zu, bis der Scheich die mörderische Peitsche beiseite schleuderte. Ohne der reglosen blutenden Gestalt auf dem Boden noch einen Blick zu gönnen, schlenderte er seelenruhig zu seinem Zelt. Bei diesem Anblick wurde ihr übel, und die Erinnerung verfolgte sie noch tagelang. Seine Gleichgültigkeit stieß sie noch mehr ab als seine Grausamkeit, und sie haßte ihn leidenschaftlich. Daß er ein außergewöhnlich stattlicher Mann war, machte die Sache auch nicht besser. In ihren Augen zeichnete ihn nur eine einzige Tugend aus - er war kein bißchen eitel, was sie sich nur widerstrebend eingestand, und so unbefangen wie jenes wilde Tier, mit dem sie ihn oft verglich.«Er ist wie ein Tiger», flüsterte sie, in den Kissen vergraben, «eine anmutige, grausame, gnadenlose Raubkatze.» Während des letzten Winters hatte sie in Indien einen Tiger erlegt. Nach stundenlangem, ermüdendem Warten auf dem Hochsitz in verkrampfter Haltung sah sie das schöne Geschöpf lautlos aus dem Unterholz hervorschleichen. Mitten auf der Lichtung war es stehengeblieben, um zu lauschen. Die langen, behenden Schritte, der stolz erhobene Kopf, die grausam verzerrten Lippen, die glühenden, funkelnden Augen im Mondlicht erinnerten sie an den Mann, dem sie jetzt gehorchen mußte. Damals hatte sie gezögert, eine so vollkommene Kreatur mutwillig zu vernichten - bis der indische Treiber sie am Arm berührt hatte. Da war ihr eingefallen, daß die «vollkommene Kreatur» vor einer Woche eine Frau gefressen hatte. Jetzt empfand Diana die gleiche Angst und widerwillige Bewunderung wie in jener Nacht, und deshalb verachtete sie sich selbst.
Als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte, fuhr sie mit einem Aufschrei hoch. Normalerweise hatte sie sich besser in der Gewalt, aber die dicken Teppiche verschluckten jedes Geräusch, und sie hatte ihn nicht so früh erwartet. Im Morgengrauen war er aufgebrochen und ungewöhnlich spät zurückgekehrt, um sich im Nebenraum auszuruhen.
Wütend auf sich selbst, biß sie sich auf die Lippen und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Er sank neben ihr auf den Diwan und zündete sich die unvermeidliche Zigarette an. Wenn er nicht im Sattel saß, rauchte er pausenlos. Diana warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Lässig lag er da, den Kopf in den Kissen, blies Rauchringe in die Luft und beobachtete, wie sie zum offenen Zelteingang wehten. Nach einer Weile wandte er sich gähnend zu ihr. «Zilah ist nachlässig. Befiehl ihr doch, deine Stiefel wegzuräumen. Und sie soll deine Kleider nicht am Boden liegenlassen. Heute fand ich einen Skorpion im Bad.»
Das Blut stieg ihr in die Wangen, so wie immer, wenn er beiläufig darauf hinwies, daß sie wie ein Paar zusammenlebten. Dieser Gleichmut machte ihr angst, denn sie deutete ihn als Zeichen dessen, daß dieser Zustand noch lange andauern würde. Sie schämte sich unbeschreiblich. Er war so selbstsicher. Bildete er sich allen Ernstes ein, er würde sie für immer besitzen?
Sie spürte, wie sie bis in die Haarwurzeln errötete. Um ihr Gesicht zu verbergen, vergrub sie die Finger in ihren wallenden Locken. Erleichtert seufzte sie, als Gaston ein Tablett mit zwei filigranen Kaffeetassen servierte. «Ich habe Kaffee gekocht, denn Madames Tee ist aufgebraucht», murmelte er so bedrückt, als würde er eine Staatskrise verkünden.
Auf ihre Reise hatte sie gerade genug Tee für einen Monat mitgenommen ... Wieder Salz in ihre offenen Wunden. Sie preßte die Lippen zusammen, hob ärgerlich den Kopf und begegnete einem spöttischen Augenpaar, dessen Blick sie wie immer auswich.
Nachdem Gaston ein paar Worte auf Arabisch gesagt hatte, trank der Scheich den heißen Kaffee, dann eilte er aus dem Zelt. Lautlos wie üblich ging der Diener umher, sammelte Zigarettenstummel und abgebrannte Streichhölzer ein und sorgte für jene penible Ordnung, die er so wichtig nahm. Diana beobachtete ihn mißmutig. War es der Einfluß der Wüste, der all diese Männer dazu brachte, sich wie Katzen zu bewegen. Ahmte der Franzose seinen Herrn bewußt oder unbewußt nach? In ihrem kindischen Zorn empfand sie plötzlich das Bedürfnis, irgend etwas zu zertrümmern. Und so fegte sie mit einer ungestümen Geste das kleine Intarsientablett beiseite. Die Tassen fielen zu Boden und zerbrachen. Sofort bereute sie ihren Impuls und sah beschämt zu, wie
Weitere Kostenlose Bücher