Der Scheich
angewidert wandte sie den Kopf von den gebleichten Gebeinen mehrerer Kamele ab, die grausige Phantasien in ihr wachriefen. Sie sah auch ein paar Schakale und einmal eine Hyäne, die plump und ungeschickt über Felsblöcke sprang.
Inzwischen war das flache Wüstenterrain wieder in eine hügelige Landschaft übergegangen. Allmählich befürchtete Diana, sie könnte vom rechten Weg abkommen. So gut es ging, orientierte sie sich an der untergehenden Sonne, die den Himmel scharlachrot und orangegelb färbte. Aber da sie zwischen den zerklüfteten Felsen immer wieder die Richtung ändern mußte, wuchs ihre Verwirrung. In einer schmalen Schlucht fühlte sie sich von allen Seiten bedrängt, und sie glaubte schon, sie würde niemals aus diesem Labyrinth herausfinden, als sie hinter einer scharfen Biegung plötzlich das Ende der Hügelketten erreichte.
Eine weite Ebene lag vor ihr, und sie seufzte erleichtert auf. Mit einem fröhlichen Zuruf spornte sie Silberstern an, doch dann verstummte sie schlagartig. Ihr Herz schlug schneller. Hastig zügelte sie den Grauschimmel. Etwa eine Meile entfernt sah sie einen Arabertrupp, der auf sie zukam - etwa fünfzig Mann, angeführt von einer hoch aufgerichteten, weißgekleideten Gestalt auf einem Rappen, die den anderen voraussprengte. In der klaren Luft schienen die Männer zum Greifen nahe, so als würden sie Diana jeden Augenblick erreichen. So hatte sich Diana ihre Begegnung mit freundlichen Arabern nicht vorgestellt. Sie hatte gehofft, ein Lager zu finden, in dem sich auch Frauen aufhielten, oder eine Karawane von Kaufleuten zu treffen, der sie zur nächsten Stadt folgen konnte. Aber diese mit Gewehren bewaffnete Araberschar hegte wohl keine freundlichen Absichten. Von wilden, gesetzlosen Kriegern konnte eine einsame Frau mitten in der Wüste nur das Allerschlimmste erwarten. Drohten ihr jetzt noch schrecklichere Gefahren, nachdem sie der Gefangenschaft endlich entronnen war? Von eisigem Entsetzen erfaßt, biß sie die Zähne zusammen und spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie hatte darum gebetet, freundlichen Menschen zu begegnen. Und nun mußte sie einer tödlichen Bedrohung ins Auge sehen. Inständig hoffte sie, die Araber würden sie nicht bemerken und vorbeireiten. Vielleicht war es noch nicht zu spät und der Trupp hatte sie nicht entdeckt. Dann würde sie genug Zeit haben, sich in der gewundenen Schlucht zu verbergen. Aber während sie Silberstern in den Schatten zwischen den Felsen lenkte, erkannte sie, daß ihr Versuch sinnlos war.
Der Anführer drehte sich im Sattel um, hob eine Hand, und mit wildem Geschrei zügelten seine Männer ihre Pferde. Als die Tiere sich wiehernd aufbäumten, stieg eine Staubwolke auf. Der Anführer galoppierte allein weiter. Im selben Augenblick schien sich eine eisige Hand um Dianas Herz zu legen, und sie stöhnte laut auf. Der Mann war ebenso unverkennbar wie sein großer schwarzer Hengst. Diana taumelte und war einer Ohnmacht nahe. Dann nahm sie sich mühsam zusammen, riß Silberstern herum und schlug die Richtung ein, aus der sie eben gekommen war. Hinter ihr raste Ahmed Ben Hassan heran.
Die Wangen aschfahl, einen gehetzten Ausdruck in den Augen, beugte sich Diana tief über den Pferdehals, spornte den Grauschimmel gnadenlos an, ohne das gefährliche, unwegsame Terrain zu beachten. Vielleicht konnte sie den Verfolger zwischen den unübersichtlichen Hügeln abschütteln. Das war ihre einzige Hoffnung, nichts anderes zählte. Lieber wollte sie aus dem Sattel stürzen und sich das Genick brechen, als die gräßliche Gefangenschaft noch einmal ertragen. In ihrer Panik hätte sie am liebsten geschrien, doch sie biß die Zähne zusammen.
Sie wagte nicht, über ihre Schulter zu blicken. Unverwandt starrte sie geradeaus. Nun mußte sie ihre ganze Reitkunst aufbieten und Silberstern um scharfkantige Felsen herumsteuern. Immer tiefer neigte sie sich hinab, um ihn zu unterstützen.
Vor lauter Angst hatte sie vergessen, wie klein das hügelige Gebiet war. Blindlings galoppierte sie den Weg zurück, und plötzlich erreichte sie das flache Land im Süden des Labyrinths. Nur Silbersterns Kraft konnte sie jetzt noch retten. Und wie lange durfte sie sich darauf verlassen? Ein schwacher Hoffnungsschimmer machte ihr Mut, denn sie entsann sich, daß der Scheich den Rappen Habicht ritt, einen Bruder des Grauschimmels. Was Schnelligkeit und Ausdauer betraf, waren die beiden einander ebenbürtig. Sie saß zwar seit Stunden im Sattel, aber vielleicht
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