Der Scheich
zielen konnte. Außerdem trieben sie ihre Pferde zu halsbrecherischer Geschwindigkeit an, um ihre Beute einzuholen.
Inzwischen hatte auch Diana das Feuer eröffnet. Der Gedanke an den Tod ihrer Eskorte und an die Gefahr, in der sie und Gaston schwebten, hatte ihr anfängliches Zögern überwunden. Verwundert über ihre eigene Gelassenheit nahm sie einen Feind nach dem anderen ins Visier. Sie empfand keine Angst, nur Zorn über den Mord an Ahmeds Männern. Bald hatte sie ihr Magazin geleert, und während sie es mit ruhiger Hand nachlud, stolperte Tänzer. Schon nach wenigen Schritten fand er sein Gleichgewicht wieder. Dann neigte er sich langsam zur Seite, Blut quoll ihm aus dem Maul. Diana sprang aus dem Sattel. In der nächsten Sekunde stand Gaston neben ihr, schob sie hinter sich, um sie mit seinem Körper zu schützen, und feuerte pausenlos auf die Angreifer.
So wie vor ihrem ersten Tag im Lager des Scheichs wurde Diana von dem seltsamen Gefühl erfaßt, nur zu träumen. Die tiefe Stille - denn das Kriegsgeheul der Araber hatte aufgehört -, der heiße, trockene Sand und der flirrende Hitzeschleier, der wolkenlose Himmel, die bedrohlichen Reiter, die immer näher rückten, der tote Schimmel und Gastons regloses Pferd an der Seite des gestürzten Gefährten, der mutige Mann, der vor ihr stand, treu ergeben bis zum Ende - das alles erschien ihr auf einmal unwirklich. Leidenschaftslos wie eine Zuschauerin sah sie sich um.
Doch dieser Zustand dauerte nicht lang, denn im nächsten Moment erkannte Diana den Ernst der Lage. Jeden Moment konnten Gaston oder sie selbst getötet werden. Unwillkürlich rückte sie näher an ihn heran. Beide schwiegen, es gab nichts zu sagen. Als Antwort auf ihre stumme Bitte um Beistand umfaßte er ihre Hand, und sie spürte, wie seine Finger zuckten, als eine Kugel seine Stirn streifte. Sekundenlang blendete ihn das Blut, das in seine Augen rann. Er ließ Dianas Hand los und wischte sein Gesicht ab. Gleichzeitig preschten die Araber johlend heran.
Gaston wandte sich zu Diana um. In seinem traurigen Blick las sie, was er vorhatte, und sie nickte, ein tapferes Lächeln auf den blassen Lippen. «Bitte», flüsterte sie, «schnell!»
Ein schmerzlicher Ausdruck glitt über sein Gesicht. «Wenden Sie den Kopf ab!» flüsterte er verzweifelt. «Sonst kann ich nicht...»
In diesem Moment krachten Schüsse, und er sackte mit einem Keuchen gegen sie, ehe er in den Sand sank. Nun schien die Hölle loszubrechen. Über den reglosen Diener gebeugt, feuerte Diana ihre letzte Kugel ab und schleuderte den leeren Revolver ins Gesicht des Mannes, der auf sie zustürmte. In der unsinnigen Hoffnung, Gastons Pferd zu erreichen, drehte sie sich um. Doch sie wurde umzingelt. Die Fäuste geballt, die Zähne zusammengebissen, stand sie da und starrte die wilden Krieger mit herausfordernd funkelnden Augen an. Dann spürte sie einen kräftigen Schlag auf dem Kopf, der Boden schwankte unter ihren Füßen, und ihr wurde schwarz vor Augen. Lautlos brach sie zusammen.
Am Spätnachmittag saß Saint Hubert immer noch im großen Zelt über den Schreibtisch gebeugt. Henri hatte die Notizen entziffert, die seinem Herrn vormittags so rätselhaft erschienen waren. Jetzt nutzte der Vicomte die Ruhe, um seine wochenlang vernachlässigte Arbeit zu erledigen. In sein interessantes Thema vertieft, vergaß er die Zeit, wunderte sich nicht, weil Diana schon so lange fort war. Er fragte sich auch nicht, was wohl der Grund sein könnte. Ahmed hatte zwar erwähnt, sein Erbfeind rücke immer näher. Aber dem Franzosen war das Ausmaß der Gefahr nicht klar.
Er war viel zu beschäftigt, um den Lärm im Lager zu bemerken, der wie üblich die Rückkehr des Scheichs ankündigte. Erschrocken blickte er auf, als sein Freund ins Zelt stürmte. Die schwarzen Augen schweiften düster durch den Wohnraum, dann verschwand Ahmed im Schlafgemach. Nach wenigen Sekunden tauchte er wieder auf. «Wo ist Diane?»
Verblüfft über den scharfen Tonfall, stand Saint Hubert auf und konsultierte seine Uhr. «Heute vormittag ist sie ausgeritten ... Dieu! Ich hatte keine Ahnung, wie spät es ist.»
«Heute vormittag?» wiederholte der Scheich langsam. «Und sie ist noch nicht zurückgekommen? Wann genau hast du sie zuletzt gesehen?»
«Gegen zehn, denke ich», antwortete der Vicomte unbehaglich. «Aber ich bin mir nicht sicher. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Es hat ein Unfall stattgefunden, und Miss Mayo verschob ihren Ausritt, um zu beobachten, wie ich einen
Weitere Kostenlose Bücher