Der Scheich
Lager beordert, die uns folgen wird, wenn wir in zwölf Stunden nicht wieder da sind.» Seine Stimme klang ruhig. Nur Raoul de Saint Hubert, der ihn seit den Jugendtagen kannte, merkte ihm die wachsende Sorge an, als er ins Zelt eilte.
Der Vicomte zögerte. Doch er wußte, daß nicht einmal er jetzt im Zelt erwünscht war. Schweren Herzens suchte er deshalb das Gästezelt auf. Enttäuscht und traurig erkannte er, daß seine zwanzigjährige Freundschaft mit dem Scheich nie mehr so sein würde wie früher. Die Veränderung war unvermeidlich, und er kam sich zurückgewiesen vor. Doch die Angst um Diana schob alle anderen Gedanken beiseite.
Als er ein paar Minuten später, gefolgt von Henri, sein Zelt verließ, war im Lager eine Menge geschehen. In geordneten Reihen standen die hundert Männer bereit, die an der Expedition teilnehmen sollten. Jeder wartete neben seinem Pferd, und der Scheich - leidenschaftslos und ruhig wie immer - beaufsichtigte die Verteilung der zusätzlichen Munition. Unterdessen wurde Habicht langsam von einem Reitknecht umhergeführt. Yusef ging zu ihm und nahm ihm das Zaumzeug aus der Hand. Während er das Pferd zu seinem Herrn brachte, musterte er ihn vorwurfsvoll. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, daß er Zurückbleiben sollte, um notfalls das Kommando über die Verstärkung zu übernehmen. Auch jetzt, als er den Steigbügel hielt, flehte er den Scheich beharrlich an, ihn doch mitzunehmen. Zumindest gewann Saint Hubert diesen Eindruck. Doch Ahmed Ben Hassan schüttelte den Kopf, und der junge Mann trat verärgert beiseite, um den Hufen des Rappens auszuweichen, der sich ungeduldig aufbäumte.
Der Scheich winkte Saint Hubert zu sich. Schweigend fiel die Kavalkade in den üblichen mühelosen Galopp. Die Stille beeindruckte Raoul, der an lärmende, schreiende Araber gewöhnt war. Und sie bedrückte sein empfindsames Temperament, da sie eine böse Ahnung heraufbeschwor. Die stumme Truppe mit den ernsten Mienen, die Ahmed und dem Vicomte folgte, ließ deutlich erkennen, daß ihr ein ungewöhnlicher Einsatz bevorstand. Seit Generationen war der Stamm für seinen unerschütterlichen Mut und seine Kampfkraft bekannt. Unter der Führung des Scheichs und zuvor dessen Vaters hatte er so hohes Ansehen erlangt, daß ihm kein anderer Stamm die Vorherrschaft streitig machte. Aber seine Kriegskunst war schon seit Jahren nicht mehr auf die Probe gestellt worden.
Auch Ibraheim Omair hatte eine Fehde geerbt, die seit Generationen Tradition hatte. Zu Lebzeiten des letzten Ahmed Ben Hassan hatte er es nur ein einziges Mal gewagt, einen offenen Konflikt heraufzubeschwören. Und die Erinnerung daran war immer noch lebendig.
Kleinere Scharmützel hatten stets stattgefunden und würden auch immer unvermeidlich sein. Deshalb blieben Ahmed Ben Hassans Leute in ständiger Bereitschaft, und er legte großen Wert auf jene Disziplin, die den Ruhm seiner Gefolgschaft begründet hatte. Gewissenhaft setzte er das Lebenswerk des Vaters fort, das dieser wiederum von seinem Vater übernommen hatte, und er setzte all seine Macht ein, um aus seinen Männern harte Krieger zu machen. In diesem Stamm wurde die angeborene Liebe zum Kampf sorgsam gefördert. Die Waffen entsprachen stets dem neuesten Stand der Technik. Raoul wußte, daß diese hastig anberaumte Expedition für die handverlesenen Männer nur eins bedeutete - den Krieg, auf den sie sich zeit ihres Lebens freuten. Ein unvorhergesehener Zwischenfall bot diesen Auserwählten die Gelegenheit, die viele hundert Stammesmitglieder ersehnten. Beglückt folgten sie ihrem Anführer, und es interessierte sie nicht, ob die angeforderte Verstärkung rechtzeitig eintreffen würde. Auch ihre geringe Anzahl war ein Vorzug. Wenn sie siegten, würden sie um so glorreicher triumphieren. Und wenn sie eine Niederlage erlitten, würde ihnen die Ehre zuteil werden, mit ihrem geliebten Anführer zu sterben. Denn niemand glaubte, daß Ahmed Ben Hassan den Tod seiner Leibwache, der sorgsam ausgewählten Elite seines Stammes, überleben würde. Mit ihnen würde er den Erbfeind vernichten - oder mit ihnen untergehen.
Inzwischen war das letzte Zwielicht der kurzen Abenddämmerung erloschen. Ein silberner Mond schimmerte hoch am Himmel und ließ die Wüste in einem weißen Glanz erstrahlen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Saint Hubert die Schönheit der Landschaft, die Stimmung der orientalischen Nacht und den Galopp in der Gesellschaft tüchtiger Kämpfer genossen. Sein Sinn für Schönheit, seine
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