Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
darunter?« Der Chef kniff die Augen zusammen. Sie verschwanden bis auf einen sehr schmalen Spalt zwischen Hängelidern und Tränensäcken. »Sie wissen schon.«
    Die Frage erinnerte Bert an den Mord, der vor einigen Jahren in einem neu eröffneten Bordell am Stadtrand begangen worden war. Mehrere Mitglieder des Stadtrats hatten in jener Nacht ausgerechnet dort eine besondere Art von Weihnachtsfeier veranstaltet. Der Fall hatte dem Chef eine Reihe schlafloser Nächte beschert. Sie hatten damals viel Energie darauf verwandt, die Diskretion zu wahren und um den heißen Brei herumzuschleichen.
    Das Sie wissen schon ärgerte Bert. Diese Art von Vertrautheit wollte er mit dem Chef nicht teilen. Er gab sich begriffsstutzig, machte ein verdutztes Gesicht. »Namen?«
    »Herrgott! Melzig! Stellen Sie sich doch nicht dümmer, als Sie sind!«
    Wenn der Chef lospolterte, lief sein Gesicht gefährlich rot an. Dann ging man ihm besser aus dem Weg. Oder gab klein bei. In der Regel zog Bert die erste Variante vor. Doch heute überkam ihn die Lust, den Zorn des Chefs ein bisschen zu kitzeln.
    »Ach - Namen«, sagte er und zog das Wort genüsslich in die Länge.
    Die klobigen Finger des Chefs trommelten auf dem Tisch. Seine Augen wurden, wenn das überhaupt möglich war, noch schmaler. Seine Gesichtsfarbe verdunkelte sich. Aubergine. Alarmstufe zwei.
    »Kann ich noch nicht sagen, Chef. Bisher kenne ich nur den des Toten und den des Mannes, der ihn gefunden hat.«
    Das Handy des Chefs klingelte. Man konnte das Aufatmen der Kollegen beinah hören. Die Gefahr war vorüber. Der Chef ließ seinen Ärger an dem armen Anrufer aus. Dann stellte er die Mordkommission zusammen und beendete die Besprechung.
    Bert schloss für einen Moment die Augen. Das Schlimmste stand ihm noch bevor. Er musste die Ehefrau Dietmar Kronmeyers aufsuchen und ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbringen.
    »Es gibt Tage, da würde ich mich am liebsten ins Bett verkriechen«, sagte er zur Polizeipsychologin.
    Sie nickte und sah ihn mitfühlend an. Legte ihm für zwei, drei Sekunden die Hand auf den Arm. Ganz leicht. Dann stand sie auf, raffte ihre Unterlagen zusammen und verließ das Besprechungszimmer. Ohne ein Wort. Ohne eine Psychologenweisheit von sich gegeben zu haben. Er war ihr dankbar dafür.
     
    Der Hunger weckte sie auf. Sie hatte tatsächlich noch ein paar Stunden geschlafen. Und sogar geträumt. Wirres, unzusammenhängendes Zeug von sprechenden Bäumen, leeren Häusern und Menschen ohne Gesicht. Jetzt knurrte ihr der Magen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zum letzten Mal etwas Ordentliches zu sich genommen hatte.
    Langsam stand sie auf und streckte sich. Ihr Blick fiel auf ein wunderschönes Wandgemälde.
    Was für ein Glück, dachte sie, so etwas Kostbares zu besitzen. Nie würde ich von hier wegziehen, wenn dieses Bild mir gehörte.
    Sonnenblumen. Ein wogendes Meer gelber Köpfe. Und mittendrin ein kleines Haus mit roten Fensterläden. Sie konnte sich die Zimmer darin gut vorstellen, gemütliche Räume mit Topfpflanzen auf den Fensterbänken und Teppichen auf Holzfußböden.
    Sie musste an einen Film denken, den sie einmal gesehen hatte. Ein Film über das Leben Vincent van Goghs. Einer der wenigen Filme, die sie kannte. Sie erinnerte sich an fast alle Einstellungen, an die Stimmung, das Licht, die Farben - und natürlich an den Maler selbst.
    Bei sengender Hitze unterwegs, den großen Strohhut auf dem Kopf. Einsam und stumm im Dunkel ländlicher Kneipen, die Pfeife im Mund. In atemloser Konzentration malend am Rand sturmgepeitschter Getreidefelder. Und schließlich in absoluter Verzweiflung versunken, allein mit dem Chaos in seinem Innern.
    Fernsehen? Teufelswerk! Anständige Menschen halten sich davon fern!
    Seltsame Gedanken überfielen sie manchmal. Sonderbare Erinnerungen. Sie dachte an die Eltern. Sie wusste nicht, ob sie ihr fehlten. Sie wusste vieles nicht. Vieles, das sie wissen sollte. Bruchstückhaft blitzten Bilder in ihr auf und verschwanden wieder. Aber das meiste blieb unter einem Schleier verborgen.
    Die Sonne schien. Es würde ein schöner Tag werden. Ein Tag mit hohem blauem Himmel und der letzten Wärme des Sommers. Das machte sie traurig. Obwohl sie den Herbst mochte. Den Winter auch. Sie hatte es sogar gern, wenn es regnete.
    Du bist ein komisches Mädchen.
    Ein komisches, komisches, komisches Mädchen, echote es in ihr.
    Sie sah an sich hinunter. Die Sachen, die sie trug, kannte sie nicht. Das erschreckte

Weitere Kostenlose Bücher