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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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solchen Zustand vergeblich sehnten. »Können Sie mir sagen, wo ich sie finden kann?«
    »Selbst wenn ich es könnte …«, Tilo wich dem forschenden Blick des Kommissars nicht aus, »… selbst dann dürfte ich es nicht.«
    »Ärztliche Schweigepflicht.«
    »So ist es.«
    Der Kommissar nickte. Er zog ein Notizbuch hervor und einen betagten Kugelschreiber. »Niemand weiß, wo sie sich aufhält«, sagte er. »Niemand weiß, wie es ihr geht. Ihre Mutter ist außer sich vor Sorge, das verstehen Sie doch?«
    »Natürlich.« Tilo ließ sich nicht locken. Er hatte solche Gespräche schon oft geführt.
    »Sie weiß ja nicht einmal … Wir alle wissen nicht, ob das Mädchen überhaupt noch lebt. Ihr könnte wer weiß was zugestoßen sein. Das muss ich Ihnen doch nicht erklären.«
    Das war eine Anspielung auf die Vergangenheit. Auf die schrecklichen Ängste, die sie um Jette ausgestanden hatten. Doch keine Erinnerung der Welt änderte etwas daran, dass Tilo der ärztlichen Schweigepflicht unterlag.
    »Frau Kronmeyer sollte sich nicht zu große Sorgen machen«, sagte er vorsichtig. »Weiter werde ich nicht gehen.«
    »Gut. Ich danke Ihnen.« Der Kommissar stand auf und studierte mit schlecht geheucheltem Interesse die Titel der Bücher in den Regalen. »Sie werden mir auch nicht verraten, warum Mina Kronmeyer sich bei Ihnen in Behandlung begeben hat?«
    »Tut mir leid.«
    »Es war einen Versuch wert.«
    Das Lächeln des Kommissars berührte Tilo unangenehm, ohne dass er hätte sagen können, wieso.
    »Wir könnten Ihre Praxis beobachten lassen.«
    »Bitte.« Tilo hob die Schultern.
    »Aber wir würden das Mädchen hier nicht finden, nicht wahr?«
    Nun war es an Tilo zu lächeln. »Nein. Das würden Sie nicht.«
    Der Kommissar wandte sich zur Tür. »Machen Sie keinen Fehler, Herr Baumgart.« Und damit drückte er die Klinke hinunter und ging hinaus.
    Tilo war sich nicht sicher, ob der Kommissar ihm gedroht hatte oder ihn nur warnen wollte.
     
    Imke hatte den ganzen Tag geschrieben. Sie fühlte sich leer. Als hätte sie sämtliche Worte verbraucht. Es war schon seltsam mit dem Schreiben. Manchmal geschah es so unbewusst, dass Imke sich am folgenden Tag kaum an das Geschriebene erinnern konnte. Es passierte ihr immer wieder, dass sie später in ihren Texten Sätze entdeckte, die ihr völlig fremd waren. Als begegnete sie ihnen zum ersten Mal.
    Auch mit den Figuren war das so. Einige waren da, ohne dass Imke sie sich vorher ausgedacht hatte. Als würde eine innere Stimme sie ihr diktieren. Imke war dankbar für diese Fähigkeit, aus dem Nichts etwas zu erschaffen und es mit Leben zu füllen. Aber sie grübelte nicht gern darüber nach. Ihr wurde unheimlich, wenn sie dem Ursprung ihrer Figuren auf den Grund zu gehen versuchte.
    Vielleicht war sie auf eine gewisse Weise verrückt. Brachte ihren Wahnsinn zu Papier (besser gesagt, auf den Bildschirm), verfremdete ihn und befreite sich auf diese Weise davon. Vielleicht war das ihre Rettung vor der Psychiatrie.
    Frau Bergerhausen war am Vormittag da gewesen und hatte geputzt. Alles war sauber und frisch. Der Limonenduft  des Reinigungsmittels lag noch in der Luft. Langsam spazierte Imke durch die Räume. Dinge wie Ordnung und Sauberkeit hatten im Laufe der Jahre ein anderes Gewicht bekommen. Sie konnte ein aufgeräumtes Zimmer richtig genießen. Und hochempfindlich auf Chaos reagieren.
    Zufrieden trat sie auf die Terrasse hinaus und klappte einen Liegestuhl auf. Die extreme Hitze des Sommers war endgültig vorüber und das war gut so. Imke mochte das milde Licht der Spätsommersonne. Sie genoss den würzigen Duft der Wiesen und den schwachen Wind, der das trockene Laub an den Zweigen knistern ließ. Bald würden die Blätter fallen. Das Geäst der Bäume und Sträucher würde sichtbar werden.
    Der Winter ist eine aufrichtige Jahreszeit, dachte sie. Er gaukelt einem nichts vor und schont einen nicht. Man wird auf sich selbst zurückgeworfen und muss damit zurechtkommen. Und mit den langen, dunklen Monaten.
    Imke hatte sich vor dem Winter noch nie gefürchtet. Anders als ihre Mutter, die Wärme brauchte und das Licht aufsaugte wie ein Schwamm.
    Und Jette? Sie hätte nicht sagen können, welche Jahreszeit ihre Tochter bevorzugte. Das erschütterte sie. Musste eine gute Mutter so etwas nicht wissen? Andere Mütter erzählten ihr immer wieder, wie mitteilsam ihre Töchter waren, beklagten sich sogar darüber, ständig Anteil am Leben ihrer Töchter nehmen zu müssen. Imke hätte wer

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