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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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den Nachbartisch abräumte, warf er suchende Blicke umher, als wünschte er die Katze wieder herbei.
    Doch der Zauber war gebrochen, und Bert wusste, das Essen würde ihm heute keine Freude bereiten. Die Katze gehörte zu diesem Ort wie die bewachsene Mauer und das zweihundert Jahre alte Haus. Ohne sie war das alles hier nur Mörtel und Stein.
    Beim Essen ließ er die Gedanken treiben. Das war so etwas wie eine geistige Reinigung. Oft schälte sich dabei das Wichtige heraus und das Unwesentliche nahm sich zurück. Das Unterbewusste, dachte Bert, spielt eine bedeutendere Rolle, als viele wahrhaben wollen.
    Das große Fragezeichen im Fall Kronmeyer war die Tochter, Mina. War sie verschwunden, weil sie etwas mit dem Mord zu tun hatte? Weil sie etwas darüber wusste? Oder war ihr etwas zugestoßen?
    Er hatte ihre Schule aufgesucht und mit ihren Lehrern und Mitschülern gesprochen. Dabei war ihm aufgefallen, dass kaum jemand etwas über sie sagen konnte. Das Mädchen hatte keine Freundinnen und keine Freunde. Niemand vermisste sie wirklich. Niemandem fehlte sie.
    Die Lehrer hatten Mühe, sie zu beschreiben. Manche nahmen ihr Notenheft hervor, bevor sie sich äußerten. Anscheinend hatte Mina hier kaum Spuren hinterlassen, war unauffällig und still ihrer Wege gegangen.
    Es entsetzte Bert, dass so etwas möglich war. Dass ein Mensch innerhalb einer Gemeinschaft nicht wahrgenommen wurde. Als stünde man vor einem Spiegel, dachte er, ohne sich darin zu sehen.
    Mina sei freundlich und höflich gewesen. Ein bisschen zu still vielleicht und auf jeden Fall zu wenig engagiert. Sie habe nie Probleme bereitet und sei nie »in etwas hineingeraten«. So weit die Einschätzung der Lehrer. Nur zwei hatten genauer hingeschaut. Die Deutschlehrerin bescheinigte Mina eine überdurchschnittliche Intelligenz. Dem Sportlehrer waren die schwankenden Leistungen seiner Schülerin aufgefallen. »Von äußerst mäßig bis schlichtweg brillant.«
    Mina? Komisch sei die gewesen. Irgendwie sonderbar. Sie habe sich nicht für das interessiert, was die übrigen Mädchen beschäftigte, und sich Jungen gegenüber ziemlich verklemmt gezeigt. Und manchmal sei in ihren Augen etwas gewesen, das einem Angst einflößen konnte. So die Mitschülerinnen.
    Und die Mitschüler? Sie sei ja ganz hübsch gewesen, aber sie habe das immer versteckt. Als ob es etwas Schlimmes sei. Sie habe Scheu vor Berührungen gehabt. Sei keinem zu nahe gekommen. Sie habe nichts von sich preisgegeben und deshalb habe auch niemand etwas über sie gewusst.
    Alle Personen, mit denen Bert ins Gespräch gekommen war, hatten in der Vergangenheitsform geredet. Als ob Mina gestorben wäre und nicht ihr Vater. Es hatte Bert wütend gemacht.
    Selbst jetzt spürte er sie noch, diese Wut. So intensiv, dass er die Bewegung unter dem Tisch zuerst gar nicht wahrnahm. Er lüpfte das Tischtuch und erblickte die weiße Katze. Sie hatte  sich zu seinen Füßen ausgestreckt, wo Marcello sie nicht entdecken konnte.
     
    »Wer?«
    Die letzte Patientin hatte gerade die Praxis verlassen. Tilo fühlte sich zerschlagen und hatte Kopfschmerzen. Vielleicht Anzeichen für eine beginnende Erkältung. Vielleicht aber auch nur Warnsignale seines Körpers. Er arbeitete zu viel.
    »Ein Herr von der Polizei.« Ruth hatte respektvoll die Stimme gesenkt. »Hauptkommissar Bert Melzig.«
    »Ah ja.« Tilo stützte sich schwer auf den Schreibtisch. Atmete tief durch. Dann richtete er sich auf. Atmete noch einmal ein. Und aus.
    »Darf ich bitten?«
    Ruth hielt dem Kommissar die Tür auf und schloss sie geräuschlos hinter ihm. Sie hätte das Zeug zur Chefsekretärin einer großen Firma, dachte Tilo und wusste im selben Moment, wie absurd das war. Ruth würde niemals eine solche Stelle wollen. Sie liebte es, mit den Patienten umzugehen, liebte die Abwechslung, liebte es, zu improvisieren. Das Perfekte ödete sie an.
    Tilo streckte die Hand aus. Der Kommissar ergriff sie. Ein Händedruck unter Männern. Das alte Ritual.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich untersuche den Mordfall Dietmar Kronmeyer«, sagte der Kommissar.
    »Die Zeitungen sind ja voll davon.« Tilo wies auf einen der Stühle, die um einen runden Tisch standen, und setzte sich dem Kommissar gegenüber.
    »Dann haben Sie mich bereits erwartet?«
    »Ich habe mit Ihrem Besuch gerechnet. Ja.«
    »Mina Kronmeyer ist verschwunden.« Der Kommissar  wirkte ruhig und gelassen. Tilo fand das sehr angenehm. Er hatte so oft mit Menschen zu tun, die sich nach einem

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