Der Schimmer des Ledger Kale
schon alles kaputt; ich brauchte also gar keine Angst zu haben. Aber als ich den Schrottplatz betrat, wurde der metallische Geschmack in meinem Mund so intensiv, dass ich am liebsten ausgespuckt hätte.
Als eine schlanke Gestalt aus dem Gebäude trat, blieb ich stehen. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, dass die Person, die da auf mich zukam, eine Lady war. Sie sah nicht älter aus als Rocket und hatte glatte schwarze Haare, die aus einem Haarband über ihren Rücken flossen und ein ovales, kupferfarbenes Gesicht einrahmten. Aus Augen, die so schwarz waren wie geschliffener Obsidian, blickte sie mich selbstbewusst und prüfend an.
»Wenn du nach Gus suchst, der ist nicht da«, rief sie. Aber »Lady« war vielleicht doch nicht der passende Ausdruck, denn sie trug einen graugrünen, vom Kragen bis zum Hosenaufschlag mit Schmierfett bedeckten Overall.
Sie hatte Arbeitsstiefel an und hielt einen Satz Motorradlenker in der Hand. Ich sah, dass der Name Winona auf ihren Overall gestickt war.
»Bei Neary gilt übrigens: Reparieren verpflichtet zum Kauf! Also pass auf, wo du hintrittst, Kleiner!« Winona zwinkerte mir zu und grinste.
»Gus?«, fragte ich mit erstickter Stimme, da mir wieder einfiel, was Sheriff Brown gesagt hatte, als er vor fast einer Woche zum Fliegenden Ochsenauge gekommen war: Mein Auto wurde demoliert, während die Kinder in Willies Laden waren – mein Auto und eins von Gus Nearys Motorrädern; das hat allerdings eine ganze Ecke mehr abgekriegt.
Mist!, dachte ich, und mir schlotterten die Knie so schlimm wie nie zuvor.
Ich spähte an Winona vorbei in die hinter ihr liegende Werkstatt. Und tatsächlich glitzerte direkt am Eingang ein Haufen Schrott in einem schimmernden Goldton wie ein Schatz, der darauf wartete, gehoben zu werden.
Mist, Mist und Supermist!
»Und Gus ist nicht da?«
»Nee«, erwiderte Winona. »Pops, der alte Narr, ist nach Vegas gefahren, weil er glaubt, dass er da vielleicht genug Geld gewinnt, um diesen Saftladen hier zu retten.« Sie zog einen Lappen aus der Tasche und rieb an einem Motorölfleck auf ihrer Wange herum.
Ich warf noch mal einen Blick auf die Trümmer der Knucklehead in der Werkstatt und fragte: »Kommt Gus denn irgendwann in absehbarer Zeit zurück?«
»Seit dem Tag, an dem er los ist, hab ich nichts mehr von Pops gehört«, antwortete sie. »Und für so einen komme ich extra her, um zu helfen! Ich hab sogar die Harley mitgebracht, die er für mich restauriert hat. Wir wollten sie auf der Motorradausstellung in Spearfish zeigen und hatten gehofft, wir würden vielleicht einen Preis gewinnen. Einen Versuch war es schließlich wert, oder?«
»Äh … was für eine Harley?«, fragte ich beklommen und war mir ziemlich sicher, dass ich die Antwort bereits kannte.
»Ich hatte eine 47er-Knucklehead. Jetzt hab ich einen Bausatz.« Sie zeigte über ihre Schulter zu dem Haufen von Einzelteilen. Mein Magen war schwer wie Blei. Mein Herz trommelte gegen meine Rippen. Meine Schuld. Meine Schuld. Meine Schuld.
»Das krieg ich natürlich wieder hin«, fügte Winona hinzu. »Aber nicht mehr rechtzeitig zur Ausstellung.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn das Wegrennen vor Problemen eine olympische Disziplin wäre, hätte der alte Gus schon eine ganze Wand voller Medaillen.« Ich zog die Augenbrauen hoch und dachte, dass Gus Neary und ich uns vielleicht zusammentun sollten. Winona warf noch einen langen Blick auf die kaputte Knucklehead.
»Ich dachte eigentlich, wir könnten das Motorrad wieder zusammenbauen – so eine Art Vater-Tochter-Gemeinschafts-Dings –, aber es sollte wohl nicht sein.«
Ich dachte an den Halbmarathon und wusste genau, wie sie sich fühlte.
»Vielleicht kann ich dir ja helfen.« Das rutschte mir einfach so raus, bevor ich es verhindern konnte.
Winona legte sich die Chromlenker um den Hals und umfasste die Griffe zu beiden Seiten der Schultern wie eine Melkerin das Tragjoch.
»Ich weiß ja nicht mal, wer du bist, Kleiner. Oder warum du überhaupt hergekommen bist.« Sie zog fragend eine Augenbraue hoch, womit sie mir signalisierte, dass es an der Zeit war, mal langsam mit der Sprache rauszurücken.
»Ich bin Ledge. Ledger Kale«, sagte ich, mit dem einfachen Teil beginnend. Ich hielt ihr eine Hand zur Begrüßung hin, so wie Sarah Jane es gemacht hatte, als sie aus dem Minivan meiner Eltern gestiegen war. Aber anstatt die Hand wegzuschlagen, wie ich es mit Sarah Janes gemacht hatte, grinste Winona … und schüttelte
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