Der Schimmer des Ledger Kale
auch wenn ich mich den ganzen Abend fühlte, als hielte ich brennende Feuerwerkskörper zwischen den Zähnen. Aber ich wusste ja, dass es kein Zufall war, dass Cabot sein Schild gerade an diesem Tag aufgestellt hatte. Autry hatte mich gebeten, mich von Sarah Jane und ihrem Vater fernzuhalten, und ich hatte nicht auf ihn gehört. Auch wenn ich Rockets Pick-up repariert hatte und heute der Held des Schrottplatzes gewesen war, waren meine Erfolge nichts wert, denn ich hatte Autrys Vertrauen verletzt … und das hatte nun Folgen.
Bei alldem hätte mir die Tatsache, dass Cabot Oma Dollops Erdnussbutterglas ins Altglas geworfen hatte, völlig belanglos erscheinen sollen. Noble Cabot konnte mit jedem Wunder dieser Ranch bald umspringen, wie es ihm gefiel. Doch als ich Opa zusammengesackt und müde in seinem Sessel sitzen sah, wurden meine Gewissensbisse noch schlimmer. Fedoras alter Footballhelm voller Einmachglasdeckel ruhte auf seinem Schoß, und die schwachen Flammen des Lagerfeuers spiegelten sich in den Deckeln, als wäre irgendwo in ihnen drin noch immer ein bisschen Magie verborgen. Aber all diese Deckel waren jetzt nur noch Erinnerungen – Erinnerungen an das, was verloren gegangen, was zerstört worden war. Vielleicht hatte Gypsy Recht gehabt, was mich betraf. Vielleicht war ich ja tatsächlich ein Künstler – aber wenn, dann ein Betrugskünstler.
Alle rings um das Lagerfeuer ließen die Köpfe hängen. Marisol und Mesquite zeigten wenig Interesse an ihren Linsenburgern, und Gypsys Blick war in die Ferne gerichtet; sie betrachtete den Himmel über dem Haus ihres Bruders. Die schweren Wolken waren die perfekte Tarnung für Rocket, um seinem Schimmer freien Lauf zu lassen. Ich stellte mir vor, dass man in Sundance noch jahrelang über das heftige Gewitter in dieser Nacht sprechen würde. Auch wenn sich die Dinge zwischen Rocket und mir zum Besseren entwickelt hatten – und ich zum ersten Mal seit Wochen tief und fest in seinem Haus schlafen konnte –, waren die vielen Blitze beängstigend.
Zwanzig Minuten nachdem Rockets Gewitter schließlich zu Ende war, gesellte er sich zu uns ans Lagerfeuer. Autry schaute überrascht auf. Und trotz allem breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
Rocket hatte seinen Bart abrasiert und seine abstehenden Haare so gut es ging gezähmt. Darunter kamen ein hübsches Gesicht mit einem markanten Kinn und das gute Aussehen zu Tage, für dessen Verbergen meine Mutter ihn ausgeschimpft hatte. Er hatte sein zerknittertes Shirt gegen ein blütenreines Westernhemd eingetauscht. Und statt nach Kölnischwasser roch mein Cousin nach Antistatik-Spray – und zwar nach einer ganzen Dose von dem Zeug.
Gypsy schenkte ihrem Bruder ein Lächeln, das Grübchen in ihre Wangen zeichnete. »So kannst du dich der ganzen Welt zeigen, Rocket!« Rockets frisch rasiertes Gesicht erblühte in verschiedenen Rottönen. Onkel Autry setzte eine neutrale Miene auf, um Rocket nicht gleich so zuzusetzen, dass er sich am liebsten wieder verkriechen wollte. Aber er konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel zuckten, als er fragte: »Warum hast du dich denn so in Schale geschmissen, mein Lieber? Noch sind wir nicht bei der Beerdigung meiner Ranch.«
Rocket verschränkte die Arme vor der Brust, löste sie dann aber wieder und sah unbehaglich drein. »Ich gehe bloß ein bisschen aus.«
»Du machst was ?«
Rocket räusperte sich und sah mich scharf an, bevor er antwortete: »Ich hab ein Date.«
Grillen zirpten.
Die Glut knackte.
Und dann erschreckte Onkel Autry uns alle damit, dass er laut »Jaaa!« schrie, von seinem Baumstumpf aufsprang und die Luft mit einer Wolke staubiger Motten sowie anderen hektisch herumflatternden, flirrenden Tieren bevölkerte. Autry hob Gypsy hoch und tanzte wild mit ihr im Kreis. »Dein Bruder geht aus, Gypsy. Rocket hat ein Date!«, sang Autry, während sie rund um das Feuer hüpften und sprangen.
Die Zwillinge ließen ihr unberührtes Essen fallen und schlossen sich den beiden an, stießen Jubelschreie aus und ließen Teller und Becher über uns durch die Luft wirbeln und Bestecke klirrend und scheppernd aneinanderrasseln, um so viel Lärm zu machen wie nur möglich. Ich blieb, von meinen Schuldgefühlen gelähmt, auf meinem Platz.
Bald setzte mein Onkel sich wieder hin, kratzte sich am Bart und lächelte weiter still vor sich hin. In diesem Moment hätte niemand jemals geglaubt, dass Autry O’Connell gerade über die Planke ging und dem Ende, an dem er
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