Der Schimmer des Ledger Kale
alles verlieren würde, immer näher kam.
»Danke.« Autry hielt Rocket eine Hand hin. »Wir brauchten wirklich etwas, das uns aufheitert.«
Selbst wenn ich in den folgenden Tagen weiteren Unterricht von den Zwillingen gewollt hätte, hätte ich ihn nicht bekommen. Ab dem Morgen, als das Schild aufgestellt worden war, verschwanden Marisol und Mesquite immer sehr früh mit Fedora und kamen erst spät wieder nach Hause; kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrten alle drei von Kopf bis Fuß verdreckt zurück. Was auch immer die Mädchen taten, sie verdreifachten ihre Anstrengungen.
»Kann ich euch irgendwie helfen?«, fragte ich zwei Tage später beim Frühstück und machte geistesabwesend Knoten in die Nägel, die aus dem Tisch ragten; ich hatte ihn mit Autry und Rocket wieder zusammengebaut.
»Nein, kannst du nicht«, antwortete Marisol, ohne mich anzusehen.
»Aber mir kannst du helfen, Ledge«, schaltete sich Gypsy ein. »Ich soll heute die Königin-Alexandra-Vogelfalter beaufsichtigen, während Onkel Autry in der Stadt ist.« Sie strahlte übers ganze Gesicht, als sie fortfuhr: »Sie sind schon fast alle geschlüpft! Und die meisten sind männlich. Aber wir hoffen, dass der Rest weiblich ist. Autry sagt, die Alexandras vermehren sich in Gefangenschaft normalerweise nicht. Eigentlich brauchen sie ganz bestimmte Pflanzen. Aber wenn er es schafft, könnte das viel für die Ranch bedeuten, für die Schmetterlinge … für alle! Die Leute müssen sie sehen! Die Welt ist so viel besser, wenn es Alexandras gibt!« Gypsy redete noch weiter, aber ich hörte ihr schon bald nicht mehr zu und stand auf, um stattdessen nach meinem Onkel zu suchen. Autry hatte sich nicht zu uns an den Tisch gesetzt.
Ich traf ihn an seinem Wagen.
»Du fährst in die Stadt?«, fragte ich.
»Vielleicht lässt Noble ja mit sich reden«, antwortete er. Seine Miene war angespannt, alle Spuren von Fröhlichkeit waren daraus verschwunden. Ich wusste, dass ich ihm das mit dem Zaun erzählen musste, bevor er es selbst sah oder von Noble Cabot erfuhr. Ich hatte es ihm die letzten beiden Tage schon sagen wollen; die Wahrheit nagte an mir wie Termiten. Aber ich hatte nicht den Mut dazu gefunden. Und jetzt fand ich ihn immer noch nicht.
»Du … du fährst also zu SJ?«
Autry schüttelte den Kopf. »Ich fahre zu Cabots Büro.«
»Zu Cabot – Ankauf und Abriss ?«, fragte ich gedehnt.
Mein Onkel drehte sich zu mir um und legte seine Hand fest auf meine Schulter. Der Kies neben seinen Stiefeln bewegte sich, und Dutzende von fetten Regenwürmern krochen aus der Erde; sie wanden und krümmten sich wie mahnende Zeigefinger, während eine Spinne eifrig dabei war, im offenen Fenster des Wagens ein Netz zu spinnen.
»Ledger. Bitte sag mir, dass du nicht wieder in Sundance gewesen bist! Sag mir, dass du meine einzige Vorschrift befolgt und dich von den Cabots ferngehalten hast.«
Ich scharrte mit den Füßen. Die Morgensonne schien noch nicht besonders heiß vom Himmel und ich war noch nicht laufen gewesen, aber der Schweiß rann mir trotzdem den Rücken hinunter.
»Ich … ich habe keinen Schuh ins Haus gesetzt. Wie versprochen«, antwortete ich und fühlte mich kleiner als die Würmer zu Füßen meines Onkels.
Autry blinzelte mich an und nickte.
»Guter Junge«, sagte er. »Halt dein Versprechen auch weiterhin!« Er ließ meine Schulter los und klopfte mir auf den Rücken. Die Regenwürmer zogen sich zurück, aber die Spinne verrichtete weiter ihre Arbeit. Und ich fragte mich mehr denn je, wieso sich Cabot und mein Onkel nicht ausstehen konnten.
»Was ist eigentlich mit dir und Mr Cabot?«, fragte ich, als Autry in den Wagen stieg. Sarah Jane war mir seit unserer letzten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und ich machte mir die ganze Zeit Sorgen, was wohl passiert war, nachdem sie für mich in die Bresche gesprungen war.
»Hast du bei einem Familienpicknick Feuerameisen auf die Cabots losgelassen oder so was? Oder ist es eine alte Familienfehde?«, löcherte ich meinen Onkel. »Hat Eva Mae Zaster sich geweigert, ihr Gold mit Nobles Ururururgroßvater zu teilen? Oder mag Cabot wirklich einfach niemanden, der anders ist? Dabei kann er ja gar nicht mal wissen, wie anders wir wirklich sind!«
Autry zögerte, bevor er den Motor anließ. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder, als er sah, wie die Radioantenne des Wagens sich wand und bog – wie sie sich von einem Korkenzieher in eine Brezel und dann in ein
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