Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
Bestimmt ein Raucher, dachte Niels.
»Tja, ich meine … zur Polizei kann man ja schlecht Nein sagen.«
Er führte Niels in sein Büro. Zeigte auf einen der beiden Stühle. Niels hörte, dass die Sekretärin ihm noch irgendetwas zuflüsterte, bevor die Tür geschlossen wurde.
»Ich rufe ihn sofort an«, sagte Bergmann und sah Niels an. »Geben Sie mir zwei Minuten? Nur ein Telefonat.«
»Selbstverständlich.«
Der Arzt nahm sein Handy vom Schreibtisch und ging nach draußen. Niels war allein. Das Arztzimmer glich eher einem kleinen Sitzungsraum als einer Praxis. Zwei Ledersessel standen sich gegenüber. Børge Mogensen. Dazwischen ein Tisch, gerade ein mal groß genug für eine Packung Kleenex und zwei Tassen Kaffee. Diverse Diplome von den unterschiedlichsten Universitäten an den Wänden. Adam Bergmann war ein international angesehener Schlafforscher. Und Bereitschaftsarzt in Nordseeland. Das ging aus einem feierlich eingerahmten Diplom an der Wand hervor.
»Nehmen Sie doch Platz«, sagte Bergmann noch in der Tür.
»Danke.« Niels setzte sich in einen Sessel. »Kommen die Leute auch zum Schlafen her?«
»Manche ja. Mit anderen rede ich nur. Das hängt von dem Grad ihrer Schlaflosigkeit ab.«
»Und Joachim?«
»Ob er hier geschlafen hat?«
»Ja.«
»Ich glaube, nur einmal.«
»Und Dicte van Hauen?«
Adam Bergmann setzte sich. Er lehnte sich zurück und musterte Niels, der sich gleich fragte, ob er selbst wohl müde aussah.
»Dicte ist zu uns gekommen, weil sie schon seit über einem Jahr keine Nacht mehr richtig geschlafen hat.«
»Ist das nicht ziemlich üblich? Die meisten stehen nachts doch wohl ein- oder zweimal auf.«
Der Arzt räusperte sich und lächelte diskret: »Der Schlaf ist eine wichtige Sache. In den wirklich tiefen Schlafphasen bauen wir unsere Immunabwehr auf. Schon drei Tage ohne Schlaf füh ren bei den meisten Menschen zu Attacken von Wahnsinn. Ein paar Tage mehr, und es wird lebensbedrohlich.«
»Dann hat es Sie nicht erstaunt, als Sie von ihrem Tod erfahren haben?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»War sie ein so harter Fall?«
»Dicte ist nur extrem selten in die Phase gekommen, die wir Traumschlaf nennen, den tiefsten und wichtigsten Schlaf. Bei den meisten schlafenden Menschen setzt diese Schlafphase nach etwa hundert Minuten ein. Ihr Schlaf war meistens nur das, was wir als PLMD bezeichnen. Periodic Limb Movement Disorder. Schlaf mit periodischen Beinbewegungen und unkontrollierten Muskelkontraktionen, die wie heftige elektrische Stöße aussehen. Glauben Sie mir: Dicte litt an schweren Schlafstö rungen.«
»Und wie ist das mit Joachim Elmkvist? Wer von den beiden war zuerst hier?«
»Dicte.«
»Und sie hat Sie Joachim empfohlen?«
»Ja.«
»Beide Balletttänzer. Beide kamen zu Ihnen. Warum?«
Bergmann sah Niels abwartend an.
»Dicte van Hauen ist tot«, sagte Niels.
»Das hat keinen Einfluss auf die Schweigepflicht.«
»Ich versuche nur herauszufinden, ob sie jemand in den Tod getrieben hat.«
Der Arzt sah Niels überrascht an.
»Ich dachte, das wäre Selbstmord gewesen. Ist sie nicht gesprungen?«
Niels rutschte auf seinem Sessel herum. Der Arzt registrierte die nervöse Bewegung.
»Sie ist gesprungen«, sagte Niels. »Aber sie stand unter dem Einfluss von jemandem. Sie war nackt, und sie war auf der Flucht.«
»Auf der Flucht? Vor wem?«
»Joachim.«
»Joachim Elmkvist? Warum sollte er …?«
Der Arzt kam ins Stocken und legte die gefalteten Hände nachdenklich in den Nacken.
»Gab es etwas, das ihr Sorgen gemacht hat?«, fragte Niels.
»Dicte hatte als Kind einen Unfall. Das quälte sie noch immer.« Niels sah Dictes Gesicht vor sich. Ein Detail kam ihm in Erinnerung. Die Narbe an der Schläfe, die der Rechtsmediziner ihm gezeigt hatte und über die Dictes Familie nicht hatte sprechen wollen.
»Sie hatte eine Narbe an der Schläfe.«
Adam Bergmann sah Niels an: »Ja.«
»Was ist da passiert?«
»Meine ärztliche Schweigepflicht …«
Niels unterbrach ihn: »Endet hier. Es besteht Mordverdacht. Außerdem …«
Adam Bergmann vollendete Niels’ Satz: »Sie meinen, außerdem gibt es niemanden, der klagen kann? Ist das Ihre Schlussfolgerung?«
»Sie haben Dicte getroffen. Sie haben sie behandelt. Interessiert Sie die Gerechtigkeit nicht?«
Tiefes Einatmen, Bergmann sah aus dem Fenster und erwog, ob er den heiligen Eid brechen durfte, den er abgelegt hatte. Niels schwieg in der Zwischenzeit. Er kannte das ewige Dilemma der Ärzte: Schweigepflicht
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