Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
erfüllte es ihn mit Abscheu, was er getan hatte. Der Termin in der Klinik war bald. Es war 12.35 Uhr. Schon verdammt spät. »Komm schon!«, sagte er noch einmal, dieses Mal an sich selbst gerichtet. Brustkompressionen. Dreißig Stück. Er zählte schnell, drückte vielleicht zu fest, und dann musste er ihn beatmen. Zweimal. Den Kopf zurück, das Kinn anheben. Freie Atemwege waren das Allerwichtigste. Er durfte die Luft nicht in den Bauch blasen. Peters Lippen waren bereits kalt. Tot. Nein, dachte er verzweifelt. Komm schon! Wieder pumpte er auf seiner Brust. Noch fester als beim ersten Mal. Und dann machte er noch einen weiteren Versuch mit dem Defibrillator. Stromstöße direkt ins Herz. Keine Reaktion. Keine Anzeichen, dass Peter noch einmal aufwachen würde. 12.42 Uhr. Er musste aufhören. Sein Hirn wusste das vor seinen Händen, die noch ein paar Minuten vergeblich versuchten, ihn wiederzubeleben. Es war ebenso hoffnungslos, wie eine Puppe von den Toten aufzuwecken. Er schob Peter von sich weg. Schloss die Augen und kämpfte mit den Tränen. Dann stand er auf und packte seine Sachen in die Tasche. Hatte er Fingerabdrücke hinterlassen? Nein, er hatte alles gründlich geputzt, als Peter betäubt gewesen war. Keine Spuren. Er sah das Bild an der Wand. L. A. Ring. Die alte Frau wartete auf den Tod. Was hatte Peter gesagt? Weil es mir genauso geht . Der Tod ist immer in der Nähe .
63.
Schlafpraxis Sleep – Sølvgade, 13.07 Uhr
Niels hatte seine Pistole auf dem Rücken unter den Hosengurt geschoben. Sie wurde jetzt von dem Hemd verdeckt, aber der kalte Stahl drückte unangenehm. Niels konnte nicht umhin, das Gespräch der Sekretärin mitzuverfolgen. Dabei waren die ande ren Geräusche um ihn herum viel interessanter: sporadische Ra diostimmen, die über die Auswirkung der Hitzewelle auf die Laune der Menschen sprachen, die Frau unten auf der Straße, die ihren Mann immer wieder fragte, warum er denn Angst vor ihr hatte und was mit ihm denn nicht in Ordnung sei. Aber im Gegensatz zu den anderen Bruchstücken versuchte die Sekre tärin, ihr Gespräch hinter vorgehaltener Hand zu führen, wobei sie Niels ent schuldigend ansah. Als wären familiäre Probleme in einem Klinik büro tabu. »Ich rufe an, wenn ich freihabe«, flüsterte sie und dann: »Nein, ich kann jetzt wirklich nicht. Und das weißt du ganz genau.«
Endlich legte sie auf und sah Niels noch einmal entschuldi gend an.
»Teenager«, sagte sie lächelnd.
Niels trat vor und zeigte ihr seinen Polizeiausweis. »Ist Joachim Elmkvist schon zu seinem Termin gekommen?«
»Ich …«
»Antworten Sie einfach auf meine Frage. Ist er hier?«
Die Tür ging auf. Niels drehte sich um, die Hand auf dem Rücken. Er legte die Finger um den Schaft der Pistole. Die Sekretärin kam auf die Beine. Eine Frau mittleren Alters trat durch die Tür, gefolgt von einem gleichaltrigen Mann in einem Kittel – sie sahen beide gleich müde aus.
»Adam. Da ist ein Mann von der Polizei. Er fragt nach Joa chim.«
Er wandte sich Niels zu.
»Polizei?«, fragte er.
»Ist er hier?«
»Nein. Einen Augenblick.« Adam Bergmann drehte sich um: »Dann sehen wir uns nächste Woche?«
»Danke«, sagte die Frau mit einem Lächeln. Sie reichten sich die Hand und sie verließ die Sprechstunde mit ihrer hellen Jacke über dem Arm.
»Sie suchen Joachim?«
»Hatte er heute eine Stunde?«
»Hatte er?« Adam Bergmann wandte sich an die Sekretärin. Niels holte die Karte heraus und zeigte sie ihnen beiden.
»Joachim hat abgesagt«, sagte sie. »Schon letzte Woche. Wegen irgendwelcher Proben im Theater.«
Konnte Niels ihnen vertrauen? Vermutlich schon, warum sollten sie wegen Joachim lügen oder ihn decken?
»Ich gehe davon aus, dass es um Dicte van Hauen geht?«, fragte Bergmann.
»Ja, sind sie beide hierhergekommen?«
»Ja. Schrecklich, was mit Dicte passiert ist. Die Sache hat uns wirklich getroffen.«
Niels sah zu Boden. Als wäre es sein Schmerz gewesen. Sein Verlust. Als kondolierten sie ihm. Als er wieder aufblickte, streckte der Arzt ihm die Hand entgegen.
»Adam Bergmann.«
Er schüttelte sie. »Niels Bentzon, Kriminalpolizei.«
Der Arzt ließ Niels’ Hand los, sah auf seine Uhr und seufzte. »Ich habe einen anderen Patienten um …«
»Nur ein paar kurze Fragen.«
Niels sah den Mann eindringlich an. Seine kleine Lesebrille klammerte sich auf die Nasenspitze. Er trug einen weißen Kittel und ein blaues Hemd. Am auffälligsten waren aber die vielen Fältchen um seine Augen.
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