Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
sollst.«
61.
Nørrebro, 12.15 Uhr
Niels stieg aus dem Auto und spürte, wie die Wut in ihm brodelte. Ruhig, sagte er zu sich selbst. Komm runter. Aber woher kam diese Wut? Der Balletttänzer Joachim Elmkvist war ein guter Kandidat. Der Mann, den Niels verfolgt hatte und der nicht gezögert hatte, Niels niederzuschlagen, als er ihn endlich gestellt hatte. Oder saß die Wut noch tiefer? Zeigte sie in Wirklichkeit auf ihn selbst? Sein ganzes Leben war verpfuscht. Kathrine, die er noch immer hin und wieder vermisste, war aus seinem Leben gegangen, aber das war ganz okay so, da sie sich gegenseitig nur aufgefressen hatten. Und Hannah verschwand mehr und mehr in einem schwarzen Loch, in dem Niels sie niemals wiederfinden würde. War es seine Schuld, dass das so gekommen war? War es in Wirklichkeit er, der alle mit diesem Virus ansteckte? Als er jetzt auf die Tür des Hauses in der Jægersborggade 12 zuging, hatte er auf jeden Fall das Gefühl, als wäre sein Leben auf ganzer Linie missglückt. Ich sollte mir ein Warnschild um den Hals hängen, dachte er. Wie auf den Zigarettenpackungen. »Der Umgang mit Niels Bentzon kann zu schweren Gesundheitsschäden führen. Bentzon verursacht Unglück und Tod.« Vielleicht sollte er auch noch einen Totenkopf daneben zeichnen.
Die 2 fehlte, aber da das Haus zwischen 10 und 14 stand, glaubte er, an der richtigen Adresse zu sein. Auf dem Türschild der dritten Etage links stand kein Name. Niels wollte klingeln, entschied sich dann aber dagegen. Sollte Joachim wirklich in der Wohnung sein, würde er abhauen. Vielleicht gab es eine Hintertreppe, über die er fliehen konnte.
Das Kellerfenster neben der Eingangstür stand weit offen. Pop musik dröhnte heraus.
Jemand sang mit. Niels klopfte fest an die offene Scheibe.
»Ja?« Die Musik wurde leiser gestellt.
Niels sah in eine Art Werkstatt. Ein Mann in einem Overall reparierte eine Lampe.
»Niels Bentzon, Polizei Kopenhagen. Sind Sie der Hauswart?«
»Ja.«
»Haben Sie einen Schlüssel für alle Wohnungen?«
»Im Prinzip schon, wobei ich die eigentlich gar nicht haben dürfte.«
»Halten wir uns mal ans Prinzip. Könnten Sie mir die Haustür aufmachen? Und dann die Wohnung in der dritten Etage?«
Der Hauswart zögerte. Niels war sich sicher, dass er Ärger machen würde. Männer mit vielen Schlüsseln stellten sich fast immer quer. Aber als Niels ihm seinen Polizeiausweis zeigte, nickte er bloß und stand auf.
***
Niels sprach leise: »Gehen Sie zurück in die Werkstatt, wenn Sie aufgeschlossen haben.«
»Sollen wir nicht erst anklopfen?«
»Tun Sie, was ich gesagt habe.«
»Okay«, sagte der Hauswart, steckte den Schlüssel ins Schloss und ging.
Niels betrat die Wohnung ohne jede Vorwarnung. Er wollte Joachim nicht die Chance geben zu fliehen, egal ob er damitVor schriften brach, die irgendwelche Männer in Anzügen mal in ihren Riesenbüros ausgeheckt hatten. Es gab immer Ausnahme situationen, in denen man die Gesetze etwas beugen musste.
»Joachim?«, rief er und spürte die Wut auflodern. »Polizei Kopenhagen.«
Keine Antwort.
»Joachim?«
Er sah sich um. Die Ledermöbel sahen so aus, als hätte sie irgendjemand einfach in die Wohnung geschoben. Süßlicher Haschgeruch mischte sich mit kaltem Zigarettenrauch. Auf dem Tisch stand ein Tetrapak Wein mit dem Bild eines Kängurus. Eine Flasche lag auf dem Boden. Der Wein, der herausgelaufen war, hatte die lackierten Bretter violett verfärbt. Es vergingen mehrere Sekunden, bis Niels den Mann sah, der zusammengerollt in einem Schlafsack in der Ecke schlief.
»Joachim Elmkvist?« Niels ging zu ihm und rüttelte ihn an der Schulter.
Schlaftrunkene Augen, kleine Pupillen, eine flüsternde Stimme. »Was ist denn los?«
Niels wusste sofort, dass das nicht Joachim war. Der Typ war viel zu blass und klein, das reinste Haschwrack.
»Lennart?«, fragte Niels. »Sind Sie Lennart Møller?«
»Was?« Er versuchte sich aufzurichten, endete aber in einer unnatürlich schrägen, in die Ecke gedrückten Stellung.
»Niels Bentzon, Polizei Kopenhagen.«
»Ich habe bezahlt.«
»Das bezweifle ich ja auch gar nicht. Ich bin auf der Suche nach Joachim Elmkvist.«
»Kenne ich nicht.«
Niels seufzte und musste sich zusammenreißen, ihm nicht in die Eier zu treten. »Kenne ich nicht«, war die Standardantwort in den Kreisen der Kleinkriminellen. Für sie war es ebenso wichtig und ehrenvoll, den Mund zu halten wie regelmäßig zu atmen.
»Okay«, sagte Niels und nahm ein kleines
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