Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
war es besser, hier unten zu warten. Auf die Art konnte er den Ausgang im Blick behalten. Eine andere Treppe gab es nicht. Trotzdem hörte er das Echo seiner nackten Füße auf dem von Rissen durchzogenen Boden, als er nach oben ging. Er blieb stehen, bekam seinen Atem wieder unter Kontrolle und ging weiter. Dieses Mal lautlos. Im zweiten Stock hörte er Joachim. Ein metallisches Geräusch. Versuchte er, ein Schloss zu knacken? Niels ging vorsichtig weiter. Der Raum fungierte scheinbar als Rückzugsort für Penner. Ein Ort, der Schutz bot vor Wind und Regen und einer Gesellschaft, die sie nicht verstanden. Im Sommer wurde ihnen der Gestank ihrer eigenen Hinterlassenschaften unerträglich, und sie schliefen draußen. Als Niels hinter der Säule hervortrat, saß Joachim über eine Videokamera gebeugt und versuchte, sie aufzubrechen, um das Band herauszuholen. Er blickte auf.
»Joachim. Es reicht jetzt.«
Noch bevor er den kurzen Satz zu Ende gebracht hatte, war Joachim auf den Beinen und hatte ein altes Wasserrohr gepackt. Erst jetzt verstand Niels den Ernst der Situation: Dieser junge Mann würde ihn umbringen, wenn er konnte. Er war bereit, zu morden oder selbst zu sterben, um nicht preisgeben zu müssen, was er beschützte. Joachim sprang vor und schlug mit der rostigen Stahlstange nach ihm. Aber Niels konnte nach hinten ausweichen, um sich wieder nach vorne zu werfen und Joachim zu packen.
»Verdammt, es reicht jetzt!«, rief Niels und legte seine Hände um Joachims Hals. »Hast du verstanden!«, brüllte er so laut, dass es in seinen Ohren schmerzte.
Wieder trat Joachim nach ihm. Er hatte mehr Kraft in den Beinen als Niels. Und er war wesentlich geschmeidiger. Er würde nicht eher zu kämpfen aufhören, bis er physisch vollkommen am Ende war. Niels ließ seinen Hals los, um ihm einen Schlag verpassen zu können. Joachim sprang auf, aber Niels hatte seinen Angriff gut geplant und traf Joachim direkt unter den Rippen auf den Nieren. Und noch einmal. Hart. Der letzte Schlag traf Joachims Brust und jagte einen stechenden Schmerz von Niels’ Hand bis hinauf in seine Schulter. Dann rammte er dem Tänzer den Ellenbogen ins Gesicht, sodass der Mann zu Boden ging. Niels beugte sich über ihn. Joachim schnappte nach Luft. Es würde nicht lange dauern, bis er wieder Luft in den Lungen hatte. Der Schlag an den Kopf war nicht sonderlich fest gewesen. Niels fragte sich, wie er weiter vorgehen sollte. Er trat einen Schritt zurück. Dann trat er so fest er konnte zu, mit der Ferse.
»Soll ich weitermachen? Mit deinen Armen oder deinem Knie?«
»Du Schwein«, fauchte Joachim, als er endlich wieder Luft hatte. In seinem Speichel war Blut. Möglicherweise war die Lunge punktiert. Er musste schnell ins Krankenhaus. Aber nicht, bevor er geredet hatte.
»Soll ich weitermachen?«
»Ich habe keine Angst vor dem Tod.«
»Und warum rennst du dann so?«
Der Balletttänzer drehte sich auf die Seite und zog die Beine an. Er sah aus wie ein Baby, das schlafen wollte.
»Antworte mir!«
»Du hast keine Macht. Weder über mich noch über Dicte.«
»Dicte ist tot!«
Ein bizarres Lächeln. Oder war diese Grimasse auf die Schmerzen zurückzuführen, die er hatte? Niels war sich nicht ganz sicher: Es ließ sich bei diesen Menschen, deren ganzes Leben auf dem Kampf gegen den physischen Schmerz basierte, einfach nicht sagen.
»Warst du das? An dem Abend …«
Joachim unterbrach ihn: »Du hast nichts verstanden.«
»Was habe ich nicht verstanden?«
»Alles.«
»Warst das du, der Dicte an diesem Abend hinterhergerannt ist?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich war nicht hinter ihr her. Ich war überhaupt nicht da!«
»Und wer war es dann?«
»Wer sagt denn, dass da überhaupt jemand war?«
»Wenn niemand hinter ihr her gewesen ist – warum rennst du dann so?«
Niels hockte sich dicht neben dem Gesicht des Mannes hin: »Sehen wir mal, was auf dem Videoband ist, das du so dringend löschen wolltest. Okay?«
»Du …!«
Joachim versuchte hochzukommen, aber die Schmerzen waren zu stark. Niels rief die Zentrale an, während er die Tasche durchsuchte. Sie roch nach Tee. Oder Zimt.
»Einsatzzentrale«, sagte eine neutrale Stimme am Telefon.
»Bentzon hier. Nehmen Sie meine Koordinaten. Ich bin al lein mit dem Verdächtigen eines Mordfalls und brauche Unterstützung.«
Joachim brummte: »Sie wurde nicht ermordet.«
Niels fuhr fort: »Und einen Krankenwagen.« Er beendete das Gespräch. Legte das Telefon auf den kalten Betonboden.
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