Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
war wieder sie. Schnee. Sie hatte bereits ihre dünne Matratze entrollt und sich hingelegt. Die Stimme im Lautsprecher klang wie ihre. Sie hatte uns gerade gesagt, dass wir uns auf den Rücken legen sollen. Aber sie konnte ja nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, dachte Niels. Vielleicht wurde auch einfach nur ein Band abgespielt?
»Der Tod. Ein Vorbereitungskurs«, sagte die Stimme lachend und fuhr fort: »Die ersten Minuten der Seelenreise. Ein bisschen wissen wir darüber. Was danach geschieht, liegt hingegen im Dunkeln. Trotzdem müssen wir uns auf jede Reise vorbereiten. Auch auf eine Reise ins Unbekannte.«
Nein, das war nicht Schnees Stimme. Aber Niels kannte sie. Er konnte sie nur nicht einordnen. Schnee berührte Niels’ Brust. Eine warme Hand. Warmer Schnee, dachte Niels, als sie flüsterte: »Zieh deine Sachen jetzt aus. Es dauert nicht so lange.«
»Ich kenne die Stimme, die da spricht.«
»Natürlich kennst du die«, flüsterte Schnee.
Die Frau auf dem Band fuhr fort: »In vielerlei Hinsicht ist diese Vorbereitung ebenso unmöglich wie die Vorbereitung der Astronauten vor dem ersten Flug ins All. Denn wie kann man sich auf etwas vorbereiten, von dem man so wenig weiß?«
Niels hörte genau hin und versuchte, die Stimme einzuordnen.
»Aber es wäre dumm, nicht den Versuch zu unternehmen, sich vorzubereiten«, sagte sie. »Beinahe alle Religionen operieren mit einer Vorstellung über die Existenz der Seele. Sowohl Naturreligionen als auch die großen Weltreligionen. Im Judentum findet man unter anderem bei den Propheten Jeremia und Hesekiel Gedanken darüber, dass der Mensch sich vielleicht Hoffnungen machen darf, dass seine Seele nach dem Tod weiterlebt. Im Islam holt Allah die Seelen der Gläubigen nach deren Tod. Richtig ausgesprochen wird der Gedanke über die Seele aber im Buddhismus und Hinduismus. Für die Hindus ist es das größte Ziel überhaupt, sich von der Reinkarnation zu befreien. Sie glauben, dass die Seele auf einer konstanten Reise ist, und erst wenn man einen Zustand erreicht hat, der als Moksha bezeichnet wird, kann man aus dem ewigen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt befreit werden. Moksha ist das letzte Ziel des menschlichen Lebens. Aber die Religionen raten nur. In Wirklichkeit gibt es Tausende und Abertausende von Berichten über Menschen, die tot waren und zurückgekehrt sind. Aber die Vorbereitung auf die Seelenreise, die wir hier machen wollen, basiert ausschließlich auf meinen Erinnerungen. Ich war dreimal tot.«
Jetzt erkannte Niels die Stimme auf dem Band. Es war Dicte.
»Gemessen in irdischer Zeit, war ich nur wenige Minuten im Jenseits. Aber die Erinnerung, die ich an meine Zeit als reine Seele habe, erstreckt sich über einen viel längeren Zeitraum. Stunden. Vielleicht Tage.«
»Was wir hier machen, ist nur eine Vorbereitung. Du musst nicht nervös sein«, flüsterte die Frau mit dem porösen Namen und zog an Niels’ Hemd. Erst jetzt, als sie sich aufrichtete, sah er, dass sie nackt war. Gedanken rasten durch seinen Kopf, während Dicte redete. Er versuchte sich zu konzentrieren, aber Schnee zog ihm das Hemd über den Kopf, und die Worte, die irgendwo aus dem Lautsprecher kamen, machten keinen Sinn. Irgendetwas über den Körper und die Befriedigung. Darüber, dem Körper zu geben, was der Körper wollte. Über die Ekstase. Die Freisetzung von Energie, sagte Dicte, während Niels versuchte, die Gesichter der Menschen um ihn herum auszumachen. War Joachim überhaupt hier?
»Und der Seele zu geben, was der Seele gehört«, sagte Dicte und fuhr mit ihrer Todesvorbereitung fort.
»Du musst nicht nervös sein«, sagte Schnee. »Niemand kann dich sehen. Wir sind einander vollkommen anonym, niemand weiß, wer sonst im Raum ist. Du bist sicher«, behauptete sie.
Die Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt. Es gab mehr Männer, als er anfangs angenommen hatte. Vielleicht fünf. Und zehn Frauen? Es musste bessere Methoden geben, als hier zu liegen, dachte Niels. Er konnte am Ausgang auf Joachim warten. Oder Leon anrufen. Warum lag er hier?
»Jetzt müsst ihr mir folgen«, drang Dictes Stimme aus dem Lautsprecher.
Dann springe ich auch .
Weil er dabei war, sein Versprechen zu halten? Tat er deshalb nichts, lief er deshalb nicht weg, als Schnee begann, sich selbst zu befriedigen? Sie lag ganz dicht neben ihm. Er hörte ihr leises Stöhnen und ahnte eine vorsichtige Bewegung. Ihr Arm berührte den seinen mit sanften, rhythmischen Bewegungen.
»Ihr müsst
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