Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
näher als zehn Me ter, springe ich!«
Einer der Polizisten wollte etwas erwidern, protestieren, aber Niels unterbrach ihn, noch ehe er etwas sagen konnte. »Wenn Sie mich noch einmal ansprechen, springe ich. Ich will nicht ge stört werden.« Niels wusste genau, was jetzt geschah. Sie riefen die Zentrale an und leiteten die Bilder der Überwachungskamera weiter. Kurz darauf kämen dann weitere Streifenwagen, angeführt von dem Einsatzleiter – und dann würde Niels Bentzon angerufen, der Unterhändler, der mit den Verrückten sprach, die in den Tod springen wollten. Und wenn Niels nicht antwortete, würden sie den Nächsten auf der Liste zu erreichen versuchen. Der Unterhändler war immer der Letzte, der kam. Bis der hier sein würde, wäre Niels längst gesprungen. Aber es war gut, dass bis dahin noch ein bisschen Zeit war und Rettungssanitäter und Putzkolonne sich bereit machen konnten. Er wollte, dass seine Leiche sofort abgedeckt wurde und keine Bilder gemacht wurden. Er wollte einfach verschwinden, ausradiert werden aus einer Welt, die er nicht verstand.
»Und räumt den Bahnsteig«, rief Niels den beiden Beamten zu. »Schafft die Leute weg. Sonst springe ich.« Der eine hing bereits am Funkgerät, der andere redete mit einem Zivilisten. Vielleicht einem Kommissar. Niels sah nach unten auf seine Füße. Dann glitt sein Blick über die Menge, bis er einen Fixpunkt fand: ein Fenster. Ein zufälliges Fenster. Das sollte das Letzte sein, was er sah. Ein Fenster zur Welt. Hoffnung. Er schloss die Augen.
11.
Islands Brygge, 11.40 Uhr
Hannah sah auf die Uhr. Sie musste in zwanzig Minuten im Rigshospital sein. Wo blieb nur dieses Taxi? Vielleicht sollte sie unten auf der Straße warten. Ja, das war bestimmt das Beste. Sie wollte vor dem Hauseingang warten. Dann warf sie einen Blick in den Spiegel und bereute es sofort. Das war also die Frau, mit der sie den Rest ihres Lebens verbringen musste. Sie sah schuldig aus, dachte sie und empfand nichts als Abscheu für die brutale, gnadenlose Doppelmörderin. Aber sie war schuldig, was auch immer sie tat. In diesem Moment klingelte das Telefon. Bestimmt das Taxi, dachte sie erleichtert, fragte sich dann aber, ob der Fahrer ihre Nummer haben konnte. Bestimmt.
»Hier ist Hannah.«
12.
Islands Brygge, 11.41 Uhr
Er stieg aus dem Wagen und warf einen letzten Blick auf den Pappkarton hinter den getönten Scheiben. Er würde ihn später holen. Zwei Frauen verließen mit ihren Koffern den Aufzug, der bis nach unten in die Tiefgarage führte. Er musste sich ja nicht unbedingt zeigen. Stattdessen ging er die Rampe hoch, vorbei an der Schranke.
Er wartete vor dem Hauseingang und versicherte sich, dass die Kanüle noch in seiner Tasche steckte. Es war wichtig, Hannah ins Badezimmer zu lotsen – das war in der Regel der schallisolier teste Raum in modernen Wohnungen. Er ging seinen Plan durch, während ein Taxi vor dem Haus hielt. Er wollte fragen, ob er auf ihre Toilette durfte, und dann vielleicht so tun, als wäre er gestürzt und hätte sich verletzt. Sie würde ihm dann sicher ihre Hilfe anbieten …
»Wollen Sie mit rein?« Eine Frau mit zwei Hunden hielt ihm die Tür auf.
»Danke.«
Er schlüpfte mit ihr ins Haus. Sie lächelte ihn an. Er strahlte Sicherheit aus, das wusste er – eine Wirkung, die er besonders auf Frauen hatte –, und er sah gut aus. Angenehm und ruhig. Die Sirenen näherten sich. Die Frau blieb an den Briefkästen ste hen, und die kleinen Hunde sprangen an ihr hoch, während sie Reklame und Briefe sortierte. Er nahm die Treppe. Blieb vor Hannah Lunds Tür stehen. Die Sirenen waren jetzt ganz nah. Hatten sie ihn gefunden? Nein, das war ausgeschlossen. Konzen trier dich, ermahnte er sich und warf einen Blick auf das Namensschild. »Hannah Lund, Niels Bentzon«, zwei Namen, aber Bentzon war nicht zu Hause. Es würde leicht werden. Das immer gleiche Gerede über Schlafstörungen und Untersuchungsmöglichkeiten und dass er versucht hätte, sie zu erreichen … Vielleicht würde er auch über den Zusammenhang von Nahtoderlebnissen und Schlafstörungen sprechen, damit sie ihn hereinbat.
Bevor er klingeln konnte, wurde die Tür aufgerissen. Sie stürmte an ihm vorbei, warf die Tür hinter sich zu und rannte so schnell die Treppe hinunter, dass sie fast gestürzt wäre, hätte sie sich nicht am Geländer festgehalten. Er trat an das Fenster am Treppenabsatz. Im Rahmen lagen tote Fliegen. Hannah Lund lief aus dem Haus und stieg in den Streifenwagen, der
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