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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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folgte ihr und verschaffte sich rasch einen Eindruck von Dictes Hintergrund: eine Familie mit Traditionen, seit Generationen wohlhabend. Auf einem antiken Pult lag ein aufgeschlagenes Gästebuch mit Goldschnitt. Niels las die Worte »danke« und »fantastisch«, geschrieben mit eleganten, femininen Buchstaben. Und auf dem Regal über dem Pult standen bereits zehn Bücher dieser Art, sorgsam in Leder gebunden.
    »Wie lange wohnt die Hauen-Familie schon hier?«
    »Die Familie oder Dictes Eltern?« Sie versuchte zu lächeln und fügte dann rasch hinzu: »So etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts.«
    Niels nickte. Sie kannte mit Sicherheit die exakte Jahreszahl, dachte er, wählte aber die etwas vage Formulierung. Nur die unteren Klassen prahlten mit ihrem Wissen. Aber wie machte man seinem Umfeld dann klar, dass man über ihnen stand? Die Antwort lag – wie der Teufel – im Detail. Ein zehnbändiges Gästebuch. Die Porträts an den Wänden im Flur. Die ausgesuchten Möbel. Niels war sich sicher, dass hier jedes Stück seine eigene Geschichte hatte. Im Flur stand ein chinesischer Medizinschrank mit Hunderten von kleinen Schubladen. Würde er fragen, be käme er sicher eine lange Geschichte zu hören: über Handel und Reisen, ein Abenteuer in Asien, einen Großvater, der Malaria oder Gelbfieber überlebt hatte. Cecilie hatte in diese überwältigende Identität eingeheiratet.
    Sie seufzte leise, bevor sie an die Tür klopfte und sie so vorsichtig öffnete, als wäre sie eine Sommerbrise, die sanft durchs Haus wehte.
    »Wie war noch mal Ihr Name?«, flüsterte sie.
    »Bentzon, Niels.«
    »Ich werde Sie vorstellen.«
    Die Mutter stand am Fenster. Die weißen Gardinen waren zugezogen, sodass das Licht im Wohnzimmer hell und weich wirkte. Ohne Ecken und Schatten, pur und himmlisch.
    »Hier ist Niels Bentzon von der Polizei«, sagte Cecilie.
    Die Mutter drehte sich um. Sie hatte geweint, aber ihre Tränen waren mittlerweile versiegt. Auch der Vater erhob sich. Er war einen Kopf kleiner als Niels, hatte bis auf ein paar graue Stoppeln bereits alle Haare verloren. Seine Augen waren grau, und er hatte perfekte Zähne.
    »Niels Bentzon, Polizei Kopenhagen.«
    »Ich dachte, Sie würden immer zu zweit kommen.«
    »Heute nicht.«
    Niels gab dem Vater die Hand und sah, wie die Frage in seinem Kopf rumorte: Wurde ihm und seiner Familie vonseiten der Behörden nun eine bessere oder schlechtere Behandlung zuteil, wenn nur einer und nicht zwei Beamte in ihrem Wohnzimmer standen und ihnen erzählten, was sie längst wussten?
    »Die Presse ist schon seit zwei Stunden hier.«
    »Charlotte und Hans Henrik. Sollen wir uns nicht setzen«, beeilte sich Cecilie zu sagen und führte Niels zu einem Sessel. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
    »Nein danke.«
    »Ich hätte gerne einen Cognac«, sagte Hans Henrik trocken. Ein kurzer Blickwechsel zwischen Cecilie und der Mutter folgte, so kurz, dass sie ihn selbst kaum bemerkten, dachte Niels, während er die mannshohe Fotografie von Dicte betrachtete, die am anderen Ende des Raums hing. Signiert vom Fotografen, schwarz-weiß.
    Dicte auf der Bühne des Königlichen Theaters, ein Bein senkrecht nach oben über den Kopf gestreckt, den Blick direkt in die Kamera gerichtet. Direkt in Niels’ Augen. Ganz ohne Furcht, ganz und gar nicht so, wie er sie auf der Brücke erlebt hatte. Einnehmend, graziös, dunkle Augen, die einen scharfen Kontrast zu ihrer hellen Haut bildeten. Hohe Wangenknochen. Körperfor men nur angedeutet. Irgendetwas in ihren Augen glaubte Niels von sich selbst zu kennen. Aber was war das? Die Überzeugung, dass andere nicht helfen konnten? Dass man allein war?
    »Was können Sie uns sagen, was wir nicht bereits wissen?«, fragte Hans Henrik.
    »Ich kann Ihnen sagen, dass Dicte heute Nacht von der Dybbøls brücke gesprungen ist und auf der Stelle tot war.«
    Wieder ergriff der Vater das Wort, schonungslos und ohne Verzeihen: »Und sie war nackt?«
    »Ja, vermutlich stand sie unter dem Einfluss von irgendetwas.«
    »Alkohol?«
    »Drogen.«
    Jetzt kamen die ersten Laute von Charlotte, Dictes Mutter. »Oh, mein Gott!« Und dann noch einmal: »Oh, mein Gott!«
    Hans Henrik legte ihr die Hand auf die Schulter, als ihr die Tränen kamen und sie ihr Gesicht am Hals ihres Mannes versteckte.
    »Es tut mir wirklich schrecklich leid«, flüsterte Niels. Cecilie kam mit drei Cognacgläsern zurück, überhörte Niels’ Protest und goss ein.
    »Es ist ja nicht selten, dass Ausnahmesportler mitunter

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