Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
zu leis tungssteigernden Mitteln greifen. EPO und so weiter«, sagte Niels und fuhr fort: »Vielleicht ist es da irgendwie zu Wechselwir kungen gekommen, sodass sie einen mentalen Schock erlit ten hat.«
»Wir sind nicht an einer Obduktion interessiert«, sagte Hans Henrik und leerte sein Glas. »Aber das entscheiden ja vielleicht nicht wir?«
Die Antwort ergab sich von selbst. Niels unterließ es, noch mehr Benzin auf das Feuer der Ohnmacht zu gießen, das in Dictes Vater brannte. Er sah ihm seine Wut an, und diese Reaktion war ganz normal. Am liebsten hätte er seiner Tochter eine Ohrfeige gegeben, sie angeschrien und sie gefragt, was zum Henker sie sich dabei gedacht hat und wie sie ihnen so etwas hatte antun können. Und in zwei Stunden würde er dann gemeinsam mit ihr sterben, sie um Verzeihung bitten und schluchzen, bis ihm die Luft wegblieb. Die Mutter nahm ihr Glas entgegen. Niels konnte sehen, wie der Alkohol in ihrem Hals brannte und ihr eine kurze Pause in ihrer noch Wochen andauernden Trauer bot.
»Sind Sie sich sicher, dass sie auf der Stelle tot war?«
»Ja. Dicte ist unmittelbar gestorben. Sie hat nach ihrem Sprung nicht mehr gelitten.«
»Und vorher …?«
Hans Henrik brachte den Satz nicht zu Ende und sah weg.
»Ich habe als Letzter mit ihr gesprochen«, sagte Niels zu seiner Überraschung. War er deshalb gekommen? Auch deshalb? Um Vergebung zu bekommen? Dictes Eltern sahen ihn auf einmal mit ganz anderen Augen an. Bestürzt.
»Der Letzte?«, wiederholte Hans Henrik. »Hat sie etwas gesagt?«
»Ja. Sie hat ein Wort gesagt, ein einzelnes Wort. Es war nicht leicht zu hören. Es klang wie Echelon.«
Die Eltern sahen sich an. Die Mutter schüttelte den Kopf. Niels wiederholte das Wort noch einmal langsam. Echelon .
»Sagt Ihnen das etwas? Ich glaube, das war etwas, das … nun, das ist schwer zu erklären.«
»Versuchen Sie es«, forderte der Vater ihn auf.
»Etwas, mit dem sie vertraut war. Das sie positiv gestimmt hat. Sie sah glücklich aus, als sie dieses Wort sagte. Voller Frieden.«
Die Mutter versuchte zu lächeln.
»Und sonst hat sie nichts gesagt?«
»Nein. Es war sehr schwer, Kontakt zu ihr zu bekommen. Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich versucht, englisch mit ihr zu sprechen. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt verstand.«
»Und was haben Sie zu ihr gesagt?«, wollte der Vater wissen.
Niels senkte den Blick. Räusperte sich. Der Cognac wartete noch immer. Was waren die letzten Worte, die ihre Tochter auf dieser Welt gehört hatte? Ihr Vater wollte genau das wissen. Und er hatte ein Recht darauf.
»Wir folgen in solchen Situationen gewissen Mustern, einer Prozedur. Wir sprechen mit den Betroffenen, versuchen, sie in ein Gespräch zu verwickeln, damit sie nicht nur auf den Mono log hören, der sich in ihren Köpfen abspielt. Wir setzen alles daran, sie zurück in die Wirklichkeit zu holen. Verstehen Sie?«
Die Mutter nickte. Hans Henrik sah Niels an, als hätte er sie in die Tiefe gestoßen. Niels stellte noch eine Frage, doch als er die Worte ausgesprochen hatte, spürte er, dass das viel mehr als bloß eine Frage gewesen war. Er schien die Grenze zu einem verbotenen Reich durchbrochen zu haben.
»Ich hatte den Eindruck, dass sie sich verfolgt gefühlt hat.«
»Verfolgt?«, fragte Charlotte.
»Vielleicht war das nur aufgrund der …« Niels versuchte, ein besseres Wort zu finden, gab aber auf: »Vielleicht hatte ich nur deshalb den Eindruck, weil die Drogen sie auf einen üblen Trip gebracht hatten. Aber ich muss das einfach fragen.«
Stille. Eine verdammt lärmende Stille. Niels atmete tief durch.
»Hatte Ihre Tochter mit jemandem Streit? Hat sie mit Ihnen über etwas geredet, das großen Einfluss auf ihr Leben hatte?«
Der Vater wiederholte die Worte: »Großen Einfluss auf ihr Leben?«
»Ja, möglicherweise Lebensgefährten oder finanzielle Verhältnisse?«
»Dicte kann mit Geld nicht umgehen«, antwortete Hans Hen rik schroff. »Wir kümmern uns um ihre Finanzen. Es hat ihr aber nie an etwas gefehlt.«
»Auf ihrer Hand stand ›Bank anrufen‹. Als wollte sie das auf keinen Fall vergessen.«
»Danske Bank. Ich habe sie darum gebeten, da anzurufen.«
»Warum? Ich meine, wenn Sie sich um ihre Finanzen gekümmert haben?«
»Sie musste ein paar Dokumente unterschreiben.«
»Dokumente?«
»Altersvorsorge und solche Sachen. Hat das irgendetwas mit dem Fall zu tun?«, fragte er gereizt.
»Sagen Ihnen die Buchstaben NMSB etwas?«
Hans Henrik und
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