Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
wirklich, dass sich bloß ein Drogenabhängiger im Treppenhaus einen Schuss gesetzt hatte. Nein, er musste sicher sein. Er ging die Treppe hinunter. Nichts. Sah zwischen die Streben des Geländers. Wenn die Spritze oben bei der Wohnung über den Rand gefallen war, konnte sie bis in den Keller geflogen sein. Er ging zurück, blieb auf Höhe der Tür stehen und sah über das Geländer. Da. Dicht vor der Kellertür lag die Spritze am Rand der Treppe. Zufrieden ging er nach unten. Dann würde doch noch alles gut gehen. Als er an der Haustür vorbeiging, sah er nach draußen. Direkt vor dem Haus standen Polizeiwagen. Uniformierte Beamte luden ihr Material ab. Einen Moment lang wollte er wieder nach oben laufen, aber das machte keinen Sinn. Entweder ging er nach draußen und verschwand, bevor sie die Tür erreichten – er konnte ja so tun, als wäre er ein Bewohner des Hauses –, oder er ging weiter in den Keller. Er musste diese Spritze haben. Sonst war es aus und vorbei. Er entschied sich für den Keller, machte das Licht aber nicht an. Die Tür ging auf. Über sich hörte er die Polizei. Wenn sie ihn hier stellten … Ein paar von ihnen gingen nach oben, andere blieben an der Haustür stehen. Sperrten sie jetzt die Wohnung ab? Oder gleich das ganze Haus? Wie sollte er dann nach draußen kommen? Er streckte sich, um die Spritze zu erreichen. Mit der Fingerspitze gelang es ihm, sie von der Treppenstufe zu schieben, sodass sie nach unten auf den Betonboden fiel.
»Ist unten jemand?«
Sie sprachen miteinander. Das war nicht an ihn gerichtet gewesen.
»Das überprüfe ich gleich. Ist einfacher, wenn der Hausmeis ter da ist, dann kann er die Türen aufschließen.«
Er hob die Spritze auf und sah sich in dem sparsam beleuchteten Keller um. Schritte auf der Treppe. Polizisten waren auf dem Weg zu ihm nach unten. Er musste weg. Sie kamen näher, in wenigen Sekunden würden sie vor ihm stehen und ihn bitten, sich auszuweisen. Er trat auf einen Flur. Staub in der Luft. Es roch nach Chlor, Waschmittel und Fahrradöl. Das schwache Vi brieren von laufenden Waschmaschinen drang an sein Ohr. Sollte er versuchen, sich zu verstecken? Nein, weiter, er musste nach drau ßen. Er passierte verschlossene Kellerverschläge, und seine Schritte wurden schneller. Die Polizisten waren nicht weit hinter ihm, er hörte ihre Stimmen. Sie hatten ihn aber noch nicht gesehen. Wenn er nicht bald einen Ausgang fand, würden sie ihn entdecken. Er bog um eine Ecke. Endlich. Am Ende des Flurs war eine Tür. Er war wenige Schritte von der Rettung entfernt. Die Stimmen hinter ihm näherten sich. Er legte die Hand auf die Klinke. Die Tür war abgeschlossen.
21.
Das Königliche Theater, 12.25 Uhr
August-Bournonvilles-Passage. Der Name klang wie aus grauer Vorzeit; wie Hufgeklapper auf Kopfsteinpflaster, das Getratsche von Frauen auf den Stufen des Nationaltheaters, nach Männern mit Zylindern und Gehstock. Trotzdem wurde Niels weder von Oehlenschläger noch von Holberg erwartet, als er durch die Tür des Königlichen Theaters trat, sondern von einem Pförtner und einer jungen Frau, die sich als »Ida, PR -Abteilung« vorstellte. Niels gab ihr kurz die Hand oder erhob besser nur die Finger, um ihren Gruß zu erwidern. Wie die englische Königin, dachte Niels. Machte man das hier drinnen so?
»Sie sitzen oben im Büro des Ballettmeisters.« Sie ging schnell, fast im Laufschritt. Niels versuchte, ihr zu folgen und sich gleichzeitig einen ersten Eindruck vom Theater zu verschaffen.
»Ida?«
»Ja.«
»Können wir ein bisschen langsamer gehen?«
»Ja, entschuldigen Sie. Es ist so furchtbar, was da geschehen ist«, sagte sie zur Verteidigung ihres Tempos, als könnte man vor der Realität weglaufen, wenn man nur schnell genug lief. »Sie haben doch keine Angst vor Fahrstühlen?«
Niels schüttelte lächelnd den Kopf, als sie ihn in einen alten Lastenaufzug führte, in dem Platz für gut fünfzig Leute war. Stille.
»Das ist mal ein Aufzug«, sagte Niels.
»Der muss groß genug sein für einen Rettungseinsatz. Sie wissen schon, viele Leute auf engem Raum.«
»Nicht nur viele Menschen, sondern auch viele vornehme Menschen«, fügte Niels hinzu.
»Genau. Unter anderem das Königshaus. Auf die müssen wir ja aufpassen.«
»Kannten Sie sie?«, fragte Niels. »Ich meine Dicte van Hauen?«
Ida schüttelte den Kopf: »Nicht richtig. Ich habe nur ein paarm al mit ihr gesprochen. In Verbindung mit irgendwelchen Presse sachen. Sie war …«
»Sie war …
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